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Garelik | G 979
Nach anderem Bericht war der Vater Chefherausgeber einer Wiener Abendzeitung gewesen.
Der Mutter Elsa war ein heiß erwünschtes Medizinstudium als Frau noch verwehrt geblieben,
umso mehr unterstützte sie den Studienwunsch ihrer Kinder. Das Elternhaus war sozialdemo-
kratisch und jüdisch geprägt mit koscherem Haushalt und Sederabenden bei den Großeltern,
wenngleich eine aktive Beteiligung am jüdischen Leben der Gemeinde unterblieb.
M. G. besuchte eine Wiener Volksschule und wollte danach von der Schule abgehen. Um dies
zu verhindern, nahm die Mutter sie mit in eine Fabrik, in der Frauen in langen Reihen an ihren
Nähmaschinen saßen, und führte ihrer Tochter eindringlich die Alternative zum Gymnasium
vor. Derart vor eine Alternative gestellt, setzte sie nun doch alles daran, auf ein Gymnasium zu
kommen. Mit einem Stipendium besuchte sie ein gutes Realgymnasium und legte ihre Matura
ab. Nachdem M. G. bereits als Schülerin als Sekretärin bei dem Rechtsanwalt Fritz Kamman
gejobbt hatte, entschloss sie sich nun für ein Studium der Rechte, das sie bald nach der Öffnung
der juridischen Fakultät an der Universität Wien aufnahm. Ihrer Erinnerung nach war sie lange
Zeit die einzige Jurastudentin an der Fakultät, die sie nach vier Jahren mit dem Dr. iur. verließ.
Die Ausbildung zum Rechtsanwalt in Österreich bedurfte einer weiteren siebenjährigen
schlecht bezahlten Vorbereitungszeit: das erste Jahr am Gericht und sechs Jahre bei einem
Rechtsanwalt. M. G. arbeitete weiterhin bei Fritz Kamman, dies sowohl als juristisch Aus-
zubildende als auch als Sekretärin, um sich ein Zubrot zu verdienen. Im Jahr 1933 konnte
sie sich schließlich als Rechtsanwältin niederlassen und eröffnete ihre Kanzlei im achten
Bezirk in der Langegasse 63 und später im zweiten Bezirk, der Leopoldstadt, in der Unteren
Augartenstraße 6. Der Anfang als Rechtsanwältin war hart, niemand wollte eine Frau enga-
gieren. Aber nachdem sie ihre ersten Mandate erfolgreich beenden konnte, stellte sich der
Erfolg schnell ein. Bald hatte sie eine erfolgreiche Praxis mit prominenten Klienten und war
die erste Frau, die vor dem österreichischen Verfassungsgericht plädierte.
Am 31. März 1938 verbot die neue Regierung provisorisch allen jüdischen Rechtsanwälten
die Ausübung ihres Berufes; zum 22. Juni 1938 hatten sie endgültig ihre Kanzleien zu
schließen. Zu diesem Zeitpunkt waren 62 % aller Wiener Rechtsanwälte jüdisch, so dass
nicht alle gleichzeitig ihre Arbeit niederlegen konnten, ohne die Rechtssicherheit zu ge-
fährden. Während die Nationalsozialisten sich vorerst darauf konzentrierten, die Männer
zu inhaftieren, konnte M. G.
– blond und blauäugig
– ihre Kanzlei noch einige Monate un-
behelligt fortführen. Am 22. Juni 1938 musste auch sie ihre Kanzlei schließen und begann,
sich nach einer Möglichkeit umzuschauen, das Land zu verlassen. Ein ganzes Netzwerk
an Freunden und Klienten arbeitete daran, ein Visum für sie zu bekommen. Eine Klientin
verschaffte ihr schließlich ein Visum für England.
Im Herbst 1938 in London angekommen, reiste M. G. gleich weiter nach Irland. Die dor-
tige Regierung war daran interessiert, einige Fachleute für Handarbeiten zu finden. M. G.
wurde Teamführerin einer Gruppe von Flüchtlingen, die sich jedoch von dem Besitzer in
ihren neuen Jobs ausgebeutet fanden. Nachdem sie genügend Englisch gelernt hatte, ging
sie zur Polizei und erklärte ihre missliche Situation. Danach arbeitete die Gruppe direkt für
die Regierung. Die Kleidung, die M. G. entworfen hatte, verkaufte sich auf dem Festland
erfolgreich; bald stand sie einer Gruppe von fast 100 Arbeitern vor.
Offenbar folgte Elsa Friedländer M. G. nach Irland, während der Vater im jüdischen Altersheim
zurückblieb und dort 1941 verstarb. Auch der Bruder Otto (geb. 1908) stieß wieder zu ihnen.
biografiA.
Lexikon österreichischer Frauen, Band 1, A – H
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- biografiA.
- Untertitel
- Lexikon österreichischer Frauen
- Band
- 1, A – H
- Herausgeber
- Ilse Korotin
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79590-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 1422
- Kategorie
- Lexika