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Heidegger | H 1237
Es gab verschiedene persönliche Gründe, die H. zu ihrer Agitation für den „Weiberaufstand“
veranlasst haben mochten. Zum einen steht nach Aussagen ihres Schwagers wie auch des Pfar-
rers fest, dass schon vor vielen Jahren die Franzosen H. vergewaltigt hatten. Zu denken ist hier
an die lange französische Besatzungszeit im Jahre 1800. H. hasste das Militär; es war kein Zufall,
dass sie schon einige Zeit vor dem Aufstand gegen die „Messung der Buben“ agitierte und sich
ihre Angriffe in erster Linie gegen die Konskriptionsbüros richteten. Als ein weiterer persön-
licher Grund mag noch hinzukommen, dass H. bereits sechs Kinder durch den Tod ver loren
hatte und nicht gewillt war, das Leben der ihr noch verbliebenen beiden Söhne in den napo-
leonischen Kriegen aufs Spiel zu setzen. Weniger ging es ihr da
rum, die Söhne, die ohnehin
abwesend waren, als Arbeitskräfte für ihren Hof zu erhalten. In diesem Sinne hielt sie auch dem
Aktuar Johann Georg Kuttner auf die Frage, ob der zweite Sohn unentbehrlich sei, entgegen:
Der Sohn gehöre ihr, und dass niemand nach ihm sich zu bekümmern habe. „Darüber hast du
mich nicht zu fragen, er mag entbehrlich seyn, oder nicht, er mag abwesend oder gegenwärtig
seyn, er wird nicht gemessen, so wie keiner“. Alle aufständischen Frauen stimmten in dem Ziel
überein, keine Männer mehr aus dem Land zu lassen. Männer waren im Bregenzerwald Man-
gelware, da viele von ihnen außerhalb des Landes einem Broterwerb nachgingen.
H. verband mit dem von ihr angezettelten Aufstand in Verkennung der Wirklichkeit wohl
auch die Hoffnung, selbst Macht ausüben zu können, Regentin bzw. Herrscherin des Bre-
genzerwaldes zu werden. Längle verweist in diesem Zusammenhang auf den Schriftsteller
Ludwig Steub, der noch im späten 19. Jahrhundert im Bregenzerwald Reste einer Gyno-
kratie anzutreffen glaubte.
Die Frage nach dem Geisteszustand der H., aber auch ihrer Anhängerinnen, hat sich von
Anfang an gestellt. Die Quellen verwenden immer wieder mit Blick auf die Aufständischen
Begriffe wie „toben“, „ganz Tollsinnige“, „wie wilde Tiere“, „inneren wilden Zwang“, „ver-
wirrte innere Gemütsstimmung“, „wildem Weibersturm“, sie „schrieen mit wütender Stim-
me“. Ganz besonderes Entsetzen löste sie durch ihre Kleidung, Aufmachung und Bewaff-
nung mit Mistgabeln, Messern, Stecken oder Steinen aus. Frauen in Männerkleidern, mit
Hosen, mit Männerhüten, Männerstiefeln, Männerröcken, erregten Abscheu; denn damit
wurde an den Grundfesten der Vormachtstellung der Männer gerüttelt: Die Frauen erheben
den Anspruch, die Rolle der Männer zu spielen.
H. selbst wird anfangs als „wahrhaft wahnsinnig“ bezeichnet, ihrem Schwager als „Närrin“
übergeben, sie gibt zu, „vollkommen närrisch“ gewesen zu sein. Sie hatte einen wilden, star-
ren Blick, hatte nachts heftig geschrieen, fiel auf durch rohe Sprache, rohe Gesten, brutales
Verhalten. Sie gab zu Protokoll, dass sie nach ihrer Einlieferung nach Bregenz „für einige
Zeit den Verstand völlig verloren habe“. Schon nach ihrer Jahre zuvor erlittenen Vergewal-
tigung war sie dergestalt rasend, „dass sie mehrere Wochen angefesselt gehalten werden
musste“. Ein medizinisches Gutachten vom 18. Juli 1807 kam zu dem Schluss, dass H. in
den ersten Tagen nach ihrer Verhaftung wahnsinnig gewesen sei, nun aber seit mehreren
Tagen nicht mehr wahnsinnig, sondern als Rekonvaleszentin dieser Gemütskrankheit anzu-
sehen sei. Ein weiteres medizinisches Gutachten konnte im Februar 1808 „keine Spur von
einer Verstandsverwirrung entdecken“. Auch andere Feststellungen sprechen deutlich gegen
die Annahme von Wahnsinn. Der königliche Rat Johann Nepomuk Raiser und der pro-
visorische Kreiskommissär Abraham Kutter, die das Verhör führten, bemerkten am Ende
biografiA.
Lexikon österreichischer Frauen, Band 1, A – H
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- biografiA.
- Untertitel
- Lexikon österreichischer Frauen
- Band
- 1, A – H
- Herausgeber
- Ilse Korotin
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79590-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 1422
- Kategorie
- Lexika