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Helena1258
Custos hat Giovanni Orlandi († 1640) in Rom einen identischen, jedoch seitenverkehrten
Stich geschaffen (Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv, Sign. Pg 164 002).
Durch das Custos-Porträt wurde auch der Paduaner Arzt und Philosoph Marco Antonio
Ulmo (Olmo), der 1597 einen Stich erworben hatte, auf H. A. aufmerksam. In seinem Werk
Physiologia barbae humanae, Bologna 1602 (2 1603), verzeichnet er Frauen mit Bartwuchs
und nennt allen voran H. A. Ulmo hat offensichtlich in Graz Erkundungen über sie einge-
holt, denn er inseriert in sein Werk einen Brief von 1599 des am Grazer Hof tätigen Arztes
und nachmaligen kaiserlichen Rates Gisbert Voss von Vossenberg († nach 1629), der eine
Beschreibung der damals 20-jährigen H. A. bietet. Er beschreibt ihr Gesicht als männlich
mit einem kastanienbraunen, beinahe schwarzen bis zur Taille reichenden Vollbart, der im
Alter von neun Jahren zu sprießen begonnen habe. Man erfährt auch, dass H.s Eltern ihre
Tochter dem Bischof von Lüttich, Ernst von Bayern (1554–1612; seit 1583 Erzbischof von
Köln und seit 1585 Bischof von Freising, Hildesheim und Lüttich) übergeben haben, der
sie an seine Schwester Maria weitergab. Als Fürstin ihrer Zeit hegte Erzherzogin Maria
ein großes Interesse für alles Außergewöhnliche, was sich nicht nur in der Einrichtung von
Kunst- und Wunderkammern an den Höfen niederschlug, sondern auch in der Integration
von geistig und körperlich devianten Menschen wie Narren und Närrinnen, Riesen, Zwer-
ge und Zwerginnen, aber auch Menschen mit anderer Hautfarbe und exotischer Herkunft
wie Mohren und Möhrinnen, Türken und Türkinnen, was sich auch im Gefüge des Hof-
staates manifestierte sowie in der Sammlung von Bildnissen dieser Personen. Ein heute in
München bzw. in Landshut auf Burg Trausnitz aufbewahrtes, 1595 in Graz entstandenes,
Ölgemälde mit dem Brustporträt einer Dame mit Schnurrbart und Bartwuchs an Wangen
und Kinn (München, Bayerisches Nationalmuseum, Dependence Landshut, Burg Trausnitz,
Inventarnr. R 1718) bezeugt ebenfalls durch seine Bildlegende H.s Anwesenheit am Grazer
Hof. Wohl ein Geschenk seiner Schwester Maria bereicherte es die Bildersammlung bärti-
ger Frauen Herzog Wilhelms V. von Bayern (reg. 1579 –1597).
Der Kupferstich von Dominik Custos und das Werk von Marco Antonio Ulmo trugen we-
sentlich dazu bei, dass H. A.s Bekanntheitsgrad bis ins 19. Jahrhundert, nicht zuletzt auch in
medizinischen Abhandlungen, die sich dem Bartwuchs bei Frauen widmeten, erhalten blieb.
Während ihr Leben am Grazer Hofe und ihr weiteres Schicksal sich bislang nicht erhellen
ließ, sind weitere ikonographische Zeugnisse Dokumente von Stationen ihres Lebens. 1605
gehörte auch sie zum österreichischen Gefolge der Erzherzogin Maria, die ihre Tochter Kon-
stanze († 1631) zur Hochzeit mit König Sigismund III. Wasa von Polen (reg. 1587–1632)
nach Krakau begleitete. Auf der bildlichen Darstellung dieses Ereignisses, die den Einzug der
Hochzeitsgesellschaft in Krakau bietet, der so genannten „Stockholmer“ oder „Polnischen
Rolle“ von 1605 (heute Warschau, Königliches Schloß, Inventarnr. ZMK 314) ist H. in der
Kutsche der Hofdamen, erkennbar an ihrem Bart, abgebildet. 1621 soll sie sich in Breslau
aufgehalten und öffentlich gezeigt haben. Im Nationalmuseum in Breslau (Wrocław) wer-
den zwei Bilder H.s mit diesem Aufenthalt verknüpft (Breslau, Nationalmuseum, Inventarnr.
VIII-1524 [Abb. Pierzchała /Hołuszka /u.a. 2009, 74, Nr. 83] und VIII–1529).
L.: Bocheński 1988; Däubler-Hauschke/Thomas 1999, Eikelmann/Sangl 2007, Pierzchała /
Hołuszka u. a. 2009, Popelka 1960, Roitner 2008, Wehner 1965, Zahn 1882, Zahn 1883
Ingrid Roitner
biografiA.
Lexikon österreichischer Frauen, Band 1, A – H
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- biografiA.
- Untertitel
- Lexikon österreichischer Frauen
- Band
- 1, A – H
- Herausgeber
- Ilse Korotin
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79590-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 1422
- Kategorie
- Lexika