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Lingens1994
1942 wurden E. und Kurt Lingens wie auch Motesiczky verhaftet. Während ihr Ehemann
nach einigen Wochen entlassen und einer Strafkompanie zugeteilt wurde, blieb E. L. im
Polizeigefängnis Roßauerlände in Haft. Am 15. Februar 1943 wurde sie mit einem Schutz-
haftbefehl ins Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau transportiert. Dort arbeitete sie als
Ärztin im Krankenrevier, wo sie dem SS-Arzt Josef Mengele unterstellt war. Im April 1943
erkrankte sie an Fleckfieber, wurde aber von einem Arzt, der ein ehemaliger Studienkollege
war, gerettet. Anfang Dezember 1944 wurde sie nach Dachau überstellt und war als Ärztin
in einem Frauen-Außenkommando in München tätig. Hier gelang es ihr, viele Frauen krank
zu schreiben und sie so vor der anstrengenden Fabrikarbeit wenigstens zeitweise zu bewah-
ren. Anschließend versah sie ihren Dienst im Dachauer Frauenkrankenrevier. Am 29. April
1945 erlebte sie die Befreiung des Lagers durch die Amerikaner.
Nach dem Krieg arbeitete E. L. in der Lungenheilstätte Laas bei Kötschach in Kärnten
als Sekundarärztin. Im selben Jahr beendete sie ihr Medizinstudium und absolvierte
eine fachärztliche Ausbildung in Pulmologie. Anschließend war sie in verschiedenen
Tuberkuloseabteilungen sowie an der Tuberkulosefürsorgestelle in Wien tätig. 1947 er-
folgte die Scheidung von Kurt Lingens. 1954 wurde sie ärztliche Fachreferentin im So-
zialministerium und übernahm in der Folge die Leitung des Tuberkulosereferats. Ihren
Bemühungen ist es zu verdanken, dass eine österreichweite statistische Erfassung der
Tuberkuloseerkrankungen durchgeführt wurde, die in jährlichen Berichten publiziert
wurde und Grundlage geeigneter Maßnahmen zur Behandlung und Bekämpfung der
Tbc war. E. L. wirkte auch an der Gesetzgebung im Gesundheitsbereich mit, insbeson-
dere am Tuberkulosegesetz (1968). 1973 ging sie in den Ruhestand. Neben ihrer ärzt-
lichen Tätigkeit widmete sich E. L. der antifaschistischen Gedenkarbeit und legte mit
ihren Berichten über Auschwitz und Dachau frühe Zeugnisse der Erinnerungsliteratur
zu den Konzentrationlagern vor. Seit 1960 war sie Präsidentin und später Ehrenpräsi-
dentin der Österreichischen Lagergemeinschaft Auschwitz. 1980 wurde sie gemeinsam
mit Kurt Lingens von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem mit dem Titel einer
„Gerechten der Völker“ ausgezeichnet. E. L. starb am 2002 in Wien. Sie wurde in einem
Ehrengrab der Stadt Wien beigesetzt.
Ausz.: Verkehrsflächenbenennung: 2012 Ella-Lingens-Staße in 1220 Wien.
Qu.: Junker, E.: DDr. Ella Lingens gestorben. In: Sammlung Ermar Junker, DÖW 6.963,
7.245b, 20.000/L435. DÖW, Interviewsammlung Erzählte Geschichte, Interview 550.
W.: „Gefangene der Furcht“ (1947), „Prisoners of Fear“ (1948), „Gem. m. Adler, H. G./Lang-
bein, Hermann (Hg.): Auschwitz. Zeugnisse und Berichte“ (1962), „Gem. m. Schmiedek,
Leopoldine: Aus der Sektion 5 des Bundesministeriums für Soziale Verwaltung. Die Tu-
berkulose-Situation in Österreich im Jahre 1960“ (1962), „Eine Frau im Konzentrationsla-
ger“ (1966), „Gem. m. Leupold-Löwenthal, Harald (Hg.): Sigmund Freud House Bulletin“
(1975 ff.), „Gefangene der Angst. Ein Leben im Zeichen des Widerstandes“. Hg. u. mit e.
Vorw. vers. von Peter Michael Lingens“ (2003)
L.: Berger 1987, Gutman/Fraenkel/Borut 2005, Korotin 2011, Ponger 1999, Ella Lingens:
Die Mutter aus den Leitartikeln. In: AZ Thema, Nr. 19, 9. Mai 1986.
Christine Kanzler
biografiA.
Lexikon österreichischer Frauen, Band 2, I – O
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- biografiA.
- Untertitel
- Lexikon österreichischer Frauen
- Band
- 2, I – O
- Herausgeber
- Ilse Korotin
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79590-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 1026
- Kategorie
- Lexika