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Otley | O 2433
sich für Siemens Wien bewerben zu können, damit sie mit der geliebten Familie zusammen
sein konnte. Doch am 25. September 1942 wurde H. Sch. an ihrem Arbeitsplatz in Berlin
verhaftet. Den Befragungen im Polizeipräsidium folgten weitere Tage der Inhaftierung mit
Verhören durch die Gestapo. Sie traf auch auf ihre ebenfalls inhaftierte Freundin Hilde.
Eine Zellengenossin, ebenfalls aus dem kommunistischen Widerstand, berichtete ihr über
das Auffliegen einer Kerngruppe, deren Folterungen durch die Gestapo zu immer weiteren
Namensnennungen geführt haben und somit wurde auch H. Sch. in diesen Sog hineinge-
zogen. November 1942 wurde sie als Schutzhäftling nach Auschwitz deportiert, ahnungslos
was sie dort erwarten sollte. Es gelang H., die nachweislich, so wie ihre Familie der protes-
tantischen Konfession angehörte, den Namen Schlesinger als einen in der österreichischen
Monarchie üblichen Namen darzustellen und entging dadurch der Zuteilung in den jüdi-
schen Frauenblock. Ihre schrecklichen und fast tödlichen Erlebnisse und Krankheiten im
Konzentrationslager schilderte sie in ihrer Autobiographie „Wien, Auschwitz, Maryland“.
Dass H. Sch. dem Konzentrationslager relativ schnell entkommen ist, verdankte sie para-
doxerweise ihrer geplanten Anklage vor dem Volksgerichtshof. Aber sowohl ihr Prozess
als auch der ihrer Freundin Hilde wurde zu einem rangniedrigeren Gericht verlegt. Das
Urteil bedeutete für H. Gefängnis bis zum 29. März 1945. In Leipzig im Gefängnis erlebte
sie das nahende Kriegsende und wird noch durch die Eigenmächtigkeit der Verwaltung
vier Wochen vor dem Ende ihres Hafttermins entlassen. Das Jahr 1945 bedeutete Hunger,
Entbehrung und die Sorge um den vermissten Bruder. Jedoch war sie mit den Eltern vereint.
1946 suchte sie um eine Anstellung bei der Stadt Wien an und begann eine Berufslaufbahn
als Bibliothekarin bei den Wiener Städtischen Büchereien. H. Sch. hatte schon immer ge-
schrieben. Einige ihrer Gedichte, auch aus der dunklen Zeit zwischen 1938 und 1945, sind
in dem Band „Helen Otley: Wieder einmal Menschen werden“ erschienen. Als Bibliothe-
karin schrieb sie weiter, nicht nur Rezensionen, sondern sie verfasste auch das Konzept zu
einer naturwissenschaftlichen Rundfunksendung. Im Jahre 1949 lernte sie ihren Kollegen
Karl Beck kennen, die beiden heirateten 1951. H. Sch, später Beck, ist eine engagierte Bib-
liothekarin, zuerst als Leiterin der jetzt noch bestehenden Bücherei in der Weimarerstraße
(Wien 18), dann später in Mariahilf in der Stumpergasse. Nebenbei arbeitet sie für die
Wiener Volksbildung, aber auch für die Bildungsorganisation innerhalb der Sozialistischen
Partei Österreichs. H. O. musste natürlich auch eine Volksbibliothekarsprüfung ablegen. Ihr
Hausarbeitsthema wendete sich dabei wieder ihrem erlernten Beruf zu: „Über die Bedeu-
tung der Naturwissenschaften für den Bibliothekar“.
Als das Statistische Amt der Stadt Wien im Jahre 1955 eine MathematikerIn suchte, nahm sie
die Gelegenheit wahr und wechselte auf den höher dotierten Akademikerposten.
Ihren geliebten Bruder hat sie nie mehr wieder gesehen, dem gebrochenen Vater musste sie
zwei Jahre beim Leiden zusehen. Ihren Mann Karl Beck verlor sie schon im Jahr 1960. H. O.
war eine Frau aus der Generation der BriefschreiberInnen. Sie versuchte mit alten emigrier-
ten Freunden in Kontakt zu kommen, und fand dabei wieder Kurt Österreich, der nach seiner
Emigration über England mit seiner Frau nach den Vereinigten Staaten ausgewandert war und
in den USA unter dem Namen Otley lebte. Es entspann sich eine intensive Korrespondenz und
als Kurt Otleys Frau starb, überlegte H. nicht lange und zog auf seinen Vorschlag zu Kurt nach
Rockville – Maryland. In den USA heiratete sie 1962 wieder und wurde zu Helen Otley, die
biografiA.
Lexikon österreichischer Frauen, Band 2, I – O
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- biografiA.
- Untertitel
- Lexikon österreichischer Frauen
- Band
- 2, I – O
- Herausgeber
- Ilse Korotin
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79590-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 1026
- Kategorie
- Lexika