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Parin-Matthéy | P 2463
kennen, den sie 1955 heiratete. Vom September 1944 bis Oktober 1945 war sie mit Paul
Parin und weiteren fünf Ärzten im Rahmen der Schweizer Ärzte- und Sanitätshilfe als
Freiwillige in der jugoslawischen Befreiungsarmee im Einsatz. 1946 organisierte sie die Poli-
klinik der Centrale Sanitaire Suisse und des Don Suisse in Prijedor, Bosnien. 1950 bis 1952
absolvierte sie in Zürich eine Ausbildung in Psychoanalyse (bei Prof. Dr. Rudolf Brun) und
eröffnete danach mit Paul Parin und Fritz Morgenthaler eine psychoanalytische Privat-
praxis, nahm am 1958 gegründeten Psychoanalytischen Seminar Zürich (PSZ) teil und
beteiligte sich aber nur informell am Ausbildungsbetrieb, weil sie sich gegen schulisch regu-
lierte Formen von Lernen und Ausbildung aussprach. Von 1952 bis 1997 war sie Mitglied
der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung und der Schweizer Gesellschaft für
Psychoanalyse. G. P.-M. lebte von 1939 bis zu ihrem Tod am 25. April 1997 mit Paul Parin
in Zürich.
Spez. Wirkungsbereich: G. P.-M. gilt als Mitbegründerin der deutschsprachigen Tradi-
tion der Ethnopsychoanalyse. Von 1954 bis 1971 unternahm sie gemeinsam mit Fritz Mor-
genthaler und Paul Parin sechs ethnopsychoanalytische Forschungsreisen nach Westafrika.
Daraus entstanden die inzwischen als „Klassiker“ der Ethnopsychoanalyse geltenden Unter-
suchungen „Die Weißen denken zuviel. Psychoanalytische Untersuchungen bei den Dogon
in Westafrika“ (1963) und „Fürchte deinen Nächsten wie dich selbst. Psychoanalyse und
Gesellschaft am Modell der Agni in Westafrika“ (1971).
Auf Basis der Ergebnisse ihrer Forschungsreisen in Westafrika war es ihnen erstmals in der
Geschichte der Anwendung der Psychoanalyse gelungen, auf ethnologischem Gebiet die
psychoanalytische Technik als Methode der ethnologischen Feldforschung zu erproben. Mit
ihren ethnopsychoanalytischen Untersuchungen bei den Dogon und Agni und der gleichzei-
tigen Rückbeziehung auf ihre psychoanalytischen Erfahrungen in der eigenen Kultur konnten
sie nachweisen, dass sich die Psychoanalyse praktisch und theoretisch eignet, Menschen, wel-
che in anderen gesellschaftlichen Formationen und außerhalb der europäischen Kultur- und
Zivilisationsgeschichte leben und aufgewachsen sind, psychoanalytisch zu verstehen. Die Psy-
choanalyse wird dabei als Trieb- und Konfliktpsychologie verstanden und als Instrument zur
differenzierten Betrachtung und Analyse gesellschaftlicher Strukturen verwendet.
Die spezifischen Lebenswelten von Frauen, die bislang in der ethnologischen Forschung un-
berücksichtigt geblieben waren, verlangten eigene Konzepte, die G. P.-M. als eine „Begrün-
derin einer ‚Psychoanalyse der Frau’ in Kulturen der Tropenzone“ ausweisen. Die ethnopsy-
choanalytischen Erfahrungen, die in fremden Ländern und Kulturen gewonnen wurden,
nutzte sie für ihre Erkenntnisse zur Erweiterung und Differenzierung der psychoanalyti-
schen Theorie und Praxis, deren Ergebnisse in den beiden Sammelbänden „Widerspruch im
Subjekt“ (1978) und „Subjekt im Widerspruch; Aufsätze 1978 bis 1985“ (1986) im Syndikat
Verlag in Frankfurt am Main vorgestellt wurden.
Für die Spanienkämpferin G. P.-M. war die praktizierte Psychoanalyse eine Fortsetzung der
Guerilla mit anderen Mitteln, um „in den einzelnen Menschen die Widerspenstigkeit und
das Aufständische freizukriegen“.
Sie sah, wie auch die in Nicaragua engagierte Psychoanalytikerin Marie Langer, in der Ver-
bindung von Psychoanalyse und Marxismus eine logische Konsequenz, da sie sich in ihrer
subversiven, gesellschaftsverändernden Kraft gleichen.
biografiA.
Lexikon österreichischer Frauen, Band 3, P – Z
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- biografiA.
- Untertitel
- Lexikon österreichischer Frauen
- Band
- 3, P – Z
- Herausgeber
- Ilse Korotin
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79590-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 1238
- Kategorie
- Lexika