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Razumovsky | R 2657
1945 Gutsbesitzer in Tschechien, wo er das vom Großvater ererbte Gut Schönstein bei
Troppau besaß, danach Übersetzer im österreichischen Bundeskanzleramt. Die Familie des
Vaters stammte aus der Ukraine und spielte im Russland des 18. Jh. eine wichtige Rolle.
Ein Vorfahre, Kirill G. Razumovsky, war unter der Zarin Elisabeth Hetman der Ukraine
und Präsident der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften; einer seiner Söhne, Andrej
K. Razumovsky, war während der napoleonischen Zeit russischer Botschafter am Wiener
Hof, Mäzen Beethovens, Schwager der durch ihre Erinnerungen („Mein Leben“) bekann-
ten Gräfin Lulu Thürheim und Erbauer des Palais Razumovsky in Wien. Ein anderer Sohn,
Grigorij, Ur-Urgroßvater von M. R., war Geologe. Beide siedelten sich in der Österrei-
chischen Monarchie an. M. R.s Mutter war Katharina, geb. Fürstin Sayn-Wittgenstein
(1895-1983). Ihre Familie ist deutschen Ursprungs. Anfang des 18. Jhs. trat ein jüngerer
Sohn in russische Dienste; dessen Sohn Feldmarschall Graf Peter Sayn-Wittgenstein war
Oberbefehlshaber der russischen Armee in der Schlacht bei Leipzig 1813. Die Familie der
Mutter musste 1918 aus Russland flüchten. Der Vater von M. R. lernte ihre Mutter kennen,
während diese bei seiner Schwester als Kindermädchen arbeitete.
M. R., genannt Mascha, hatte zwei jüngere Schwestern, Daria (1925–2002) und Olga
(1927–1990) sowie zwei jüngere Brüder, Andreas (1929–2002) und Alexander (geb. 1931).
Freundschaften: In den Siebziger- und Achtzigerjahren hatte M. R. zahlreiche Kontakte
mit russischen Dissidenten, vor allem mit Literaten und Malern. Auch in bibliothekari-
schen Fachkreisen des In- und Auslandes war sie sehr bekannt und bekleidete verschiedene
Funktionen in der IFLA (International Federation of Library Associations and Institutions).
Ausbildungen: Sie besuchte Schulen in Troppau und Wien, legte 1941 in Troppau die Ma-
tura ab, absolvierte 1941–1944 die Sprachschule Kautetzky in Wien, legte 1942 die Dolmet-
schprüfung in Französisch, 1944 in Englisch ab und arbeitete ab Juni 1944 auf dem väterli-
chen Gut in Schönstein als Landarbeiterin, danach in der Gutsverwaltung – auch nach der
Konfiskation des Gutes aufgrund der Beneš-Dekrete. Ihre Großmutter väterlicherseits, die
Bankierstochter Marie Wiener von Welten, war jüdischer Herkunft (sie war zum Zeitpunkt
des „Anschlusses“ bereits gestorben, doch ihr Bruder Rudolf, M. R.s Großonkel, setzte da-
mals seinem Leben selbst ein Ende). Wie so viele Betroffene war M. R., die russisch-or-
thodoxe altösterreichische Adelige, über ihre plötzliche „rassische“ Stigmatisierung völlig
überrascht: „Gerade habe ich erfahren, dass mein Urgroßvater ein Jude war“, schrieb sie am
22. März 1938 in ihr Tagebuch. M. R.s Vater, somit „Mischling ersten Grades“, war „nicht
wehrwürdig“ und musste als Hilfsarbeiter in einer Jutefabrik 10 Stunden pro Tag arbeiten.
Ihr selbst war als „Mischling zweiten Grades“ während der nationalsozialistischen Ära u.
a. das Hochschulstudium verwehrt. Ständig hielt sich die Familie mit gepackten Ruck-
säcken zur Flucht bereit. Als die Deutschen den Rückzug angetreten hatten und die Russen
einmarschierten, gab es neuerlich große Aufregungen und nur mit knapper Not, dank der
Unterstützung durch die eilig herbeigeholte tschechische Gendarmerie, entging der Vater
der Deportation, weil beide Eltern aus Russland stammende Adelige waren und anderseits
als „Deutsche“ galten. Zwar genoss die Familie die Sympathie ihrer Angestellten und der
rundum ansässigen Tschechen, dennoch wurde sie im August 1946 nach Wien ausgewie-
sen, wo sie glücklicherweise ein ererbtes Haus besaß, welches keinen Bombentreffer erlitten
hatte. Die Erlebnisse der Familie vom „Anschluss“ Österreichs an Nazideutschland bis zur
biografiA.
Lexikon österreichischer Frauen, Band 3, P – Z
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- biografiA.
- Untertitel
- Lexikon österreichischer Frauen
- Band
- 3, P – Z
- Herausgeber
- Ilse Korotin
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79590-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 1238
- Kategorie
- Lexika