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Schoch | S 2947
um eine abstrakte Solidarität, sondern vor allem um die Solidarität mit ihren Töchtern, die
sich in dem Tumult von Anfang an exponiert hatten, als sie selbst noch gar nicht dabei
gewesen war. In ihrem Schlusswort bedauerte und bereute sie ihr ungeschicktes und unbe-
sonnenes Handeln und nicht zuletzt auch das ihrer unverständigen Kinder.
Eine Motivation für Sch. war auch ihre Ablehnung der Religionsneuerungen gewesen.
Sehr oft fällt das Wort lutherisch, man hält die aufgeklärten Geistlichen für lutherisch, man
befürchtet, das Land werde lutherisch. Sch. betont jedoch, die Abschaffung der religiösen
Neuerungen sei nur ein Nebenaspekt des Tumultes gewesen. Man habe damit unter den
Weibern einen größeren Anhang erreichen wollen. Es sei schon lange vor dem Tumult bei
Zusammenkünften in den Häusern davon geredet worden, dass man die Neuerungen nicht
dulden solle. Es bestand wegen der vorausgegangenen Aufhebung der Prozessionen und
der Abstellung der Feiertage ein allgemeiner Missmut über diese Religions-Neuerungen, alles
sagte zusammen, man sollte so etwas nicht leiden. Der Boden für den Tumult war somit gut
vorbereitet. Die Weiber hätten nur beim ersten gegebenen Anlass, als man ihre Söhne und
Liebhaber als Soldaten wegholen wollte, Ernst gemacht.
Es fällt auf, dass der Tumult am Tag nach St. Peter und Paul ausbrach, also an einem der
abgeschafften Apostelfeste. Für die Region haben diese beiden Apostelfürsten viel bedeutet;
sie waren die Patrone des 1806 aufgehobenen Klosters Mehrerau, das sehr viel für den Lan-
desausbau des Bregenzerwaldes geleistet hatte und seit Jahrhunderten in Lingenau präsent
gewesen war. Zufall? Vermutlich ja, denn der Kalender wurde durch die Rekrutierungster-
mine bestimmt. Aber immerhin mochte dadurch das Argument gestärkt werden, dass der
Tumult sich auch gegen die religiösen Neuerungen richtete. Um diese Zeit sprachen die
Jungfrauen von Lingenau bei ihrem Pfarrer vor und verlangten die sofortige Wiederaufnah-
me der Monatsprozessionen.
Der für den Landfrieden verantwortliche Karl Ernst Freiherr von Gravenreuth, der baye-
rische Generalkommissär der Provinz Schwaben mit der Hauptstadt in Ulm, meinte zwar
am 2. 7. 1807 in einem Brief an den König, der ganze Vorfall besitze mehr ein lächerliches
als ein ernsthaftes Ansehen, wollte aber doch mit größter Härte gegen die Aufständischen
vorgehen, falls sich Anzeichen dafür fänden, dass der Tumult von Krumbach nur Teil eines
weitergehenden Planes sei. Die Ergebnisse der Untersuchungskommission, nicht zuletzt das
Beispiel der M. Sch., mochten ihn aber von der Harmlosigkeit des Aufstandes überzeugt
haben. Und so kam es dann am Ende doch zu einer Begnadigung.
Qu.: VLA Bregenz, K. u. OA. Bregenz, Sch. 154, Krumbacher Weiberaufstand 1807; LG Bezau,
Sch. 109, Krumbacher Weiberaufstand 1807; LBS, Konrad Herburger, Lingenauer Chronik
1818, 2. Teil, S. 394 – 412 (Kopie); Manuskript eines Berichts des Krumbacher Kaplans Her-
burger, um 1830; Familienarchiv Gravenreuth in Affing.
L.: Bilgeri 1982, Burmeister 1999, Hirn 1907, Längle 2009, Ulrike Längle: Tolle Weiber –
Aufstand der Krumbacherinnen 1807 (Theaterstück, Premiere am 12. Juli 2007 unter freiem
Himmel in Krumbach).
Karl Heinz Burmeister
biografiA.
Lexikon österreichischer Frauen, Band 3, P – Z
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- Titel
- biografiA.
- Untertitel
- Lexikon österreichischer Frauen
- Band
- 3, P – Z
- Herausgeber
- Ilse Korotin
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79590-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 1238
- Kategorie
- Lexika