Seite - 29 - in Aus Österreichs Höhe und Niedergang - Eine Lebensschilderung
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Preußen führten. Das änderte sich auch nicht mehr, und die große
politische Schwenkung, zu der man sich entschloß, bevor es noch
zu spät wurde, äußerte sich im Personenwechsel des Ministeriums
des Äußeren.
Beust, der erste und einzige Kanzler des Reiches, der Revanche-
minister Österreichs, mußte Andrassy Platz machen, der jedoch
das Palais am Ballplatz nicht mehr als Kanzler, sondern als der
großeExponentUngarns bezog, das hinfort die treibende, verzögernde,
oft auch störende Kraft, stets aber das ausschlaggebende Element
in der Donaumonarchie wurde. Damals bestand der Dualismus—
der 67er Ausgleich— seine Kraftprobe vom mag^^arischen Stand-
punkte aus und fügte sich als ein unabänderlicher Faktor in das
europäische Staatsleben ein. Hierdurch bekam der Schwerpunkt
des Reiches einen merklichen Ruck nach Osten, und es war nur mehr
eine Äußerlichkeit, daß das Ministerium des Auswärtigen am Ball-
platz verblieb und nicht am Ferenz-Josef-Rakpart oder in die An-
drassyut übersiedelte. Die Generalrichtung in der Politik der Doppel-
monarchie gab von da ab immer das östliche Reich an^ und die Be-
zeichnung ,,Reichshälfte" war schon damals zu einem Anachronis-
mus geworden.—
In Lemberg, wohin ich wieder auf Urlaub fuhr, fand ich noch eine
erregte Stimmung, die besonders von den oberen und mittleren
polnischen Gesellschaftsschichten ausging : der Tradition entsprechend
in franzosenfreundlichem und deutsch-, nicht etwa nur preußenfeind-
lichem Sinne, wobei für Österreich so gut wie gar nichts übrig blieb.
Ich erinnere mich eines in allen großen Geschäftsläden ausgestellten
Stahlstiches, die Illustration zudem frivolen de Mussetschen Gedicht :
,,Nous avons eu votre Rhin allemand." Ein Widerpart des deutschen
Sturmliedes: ,,Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen
Rhein!"—Als dann die Nachricht vonSedan kam, herrschte tiefste
Niedergeschlagenheit, und es wurden wieder die nationalen Trauer-
kleideri) hervorgeholt, die teilweise schon in denGarderoben deponiert
gewesen waren.
^) Die orthodox-nationalen Polen trugen aus Schmerz um das verlorene
Reich Trauerkleider oder mindestens Trauerabzeichen. Stramme Opportu-
nisten legten sie im geheimen an. Bei der Errichtimg der ünio Ljubelska, dem
zurErinnerungan diestaatHcheVereinigimgvon Polen, WolhynienundLitauen
inLemberg aufgeführtenDenkmal, kam diesbesonderszur Geltung, Esbestand
vomehmUch in dem Symbol, das die dreiKuppen des imNordosten der Stadt
sich erhebenden ,,Sandberges" zu einer Kuppe zusammenschaufeln üeß. Diese
Arbeit persönlich zu verrichten, war de rigueur, und man sah durchMonate
elegante Polen und Polinnen den Schubkarren, die Schaufel und die Elrampe
mit wirklichem oder markiertem heiUgen Eifer führen. Die Regienmg tat
hierbei verschämt mit.
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Aus Österreichs Höhe und Niedergang
Eine Lebensschilderung
- Titel
- Aus Österreichs Höhe und Niedergang
- Untertitel
- Eine Lebensschilderung
- Autor
- Auffenberg von Komarów
- Verlag
- Drei Masken Verlag München
- Ort
- München
- Datum
- 1921
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.4 x 21.6 cm
- Seiten
- 536
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918