Seite - 69 - in Aus Österreichs Höhe und Niedergang - Eine Lebensschilderung
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gebendsten Stellen mochte manum nicht mehr, doch seines Ansehens
und Auftretens wegen wollte man ihm die letzten Konsequenzen
zum Rücktritt selbst überlassen. Später machte man mit siegreichen
Armeeführern, die den obersten Ingerenzen nicht zu Gesichte standen,
weit weniger Federlesens!
In politischer Hinsicht machten sich damals in Böhmen die Folgen
der Taaffeschen Versöhnungspolitik geltend. Die Konzessionen an die
Tschechen wuchsen mit jedem Jahre, ohne deren Zufriedenheit und
Willfährigkeit zu erzielen. In Pilsen selbst dominierte die erst kürz-
lich zu großem Einfluß gelangte Jungtschechenpartei. Es gab noch
wenig ultraradikale Elemente, so daß der Zustand immerhin leidlich
war, wenngleich die deutsche und die tschechische Gesellschaft ein-
anderstrengemieden. Zu einerwirklichenGeselligkeitkamesaberüber-
haupt nicht. Keinerlei Anregung, keinerlei Ansätze zu einer höheren
kulturellen, fortschrittlichen Auffassung auf irgendeinem sozialen
Gebiete—bezeichnend für diese vonsoreichen Industriellenundwohl-
habenden Bürgern bewohnte Stadt.
Am 30. Jänner 1889 durchbrauste auch Pilsen die Kunde vom
Tode des Kronprinzen Erzherzog Rudolf. Dieses schwerwiegende Er-
eignis wirkte um so lähmender, als Todesartund -Ursache in einMy-
sterium gehüllt waren und es für die große Menge eigentlich auch
weiterhin blieben. Offiziell wurden zwei ganz verschiedene Versionen
bekanntgegeben. Dies ließ das Unglück noch düsterer und unerklär-
licher erscheinen und den Respekt vor offiziellen Enimtiationen auf
den Nullpunkt sinken. Die abenteuerlichsten Einzelheiten wurden
kolportiert und trugen just nicht bei, das Ansehen des Herrscher-
hauses zu steigern. Dieses konnte damals allerdings eine Diminu-
ierung leicht vertragen. Das in den allermeisten Bewohnern der Mon-
archie tief eingewurzelte dynastische Gefühl, das sich in dieser Rich-
tung bis zur Urteilslosigkeit gesteigert hatte, war eben eine ganz
besondere Spezies unseres Staatswesens. In dieser einen Richtung
hatte die Dynastie, zumeist im Bunde mit dem Klerikalismus, tat-
sächlich Erstaunliches geleistet, was vornehmlich dadurch zum Aus-
drucke kam, daß man das Symbol desStaates alsWesen undKern—
ja förmlich als Zweck desselben anerkannte. Dadirrch entstand auch
der Irrglaube, daß der Staat ohne Dynastie, und speziell ohne diese
Dynastie, nicht bestehen könne. Und so geschah es, daß in Österreich
nicht nur der Träger der Krone, sondern auch dessen Famüie— alle
Mitglieder des Erzhauses— stets zu einem Überfaktor gemacht wur-
den. An diese völlig naturorganische Unersetzbarkeit des regierenden
HausesglaubtenMillionenund Millionen. Und selbst bei spekulativen,
politisch denkenden Köpfen hörte da urplötzlich die Voraussetzungs-
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Aus Österreichs Höhe und Niedergang
Eine Lebensschilderung
- Titel
- Aus Österreichs Höhe und Niedergang
- Untertitel
- Eine Lebensschilderung
- Autor
- Auffenberg von Komarów
- Verlag
- Drei Masken Verlag München
- Ort
- München
- Datum
- 1921
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.4 x 21.6 cm
- Seiten
- 536
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918