Seite - 93 - in Aus Österreichs Höhe und Niedergang - Eine Lebensschilderung
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als Minister des Innern eine maßgebende Rolle spielte. Dieser wollte
den hypernationalen Widerstand, der schon völlig revolutionäre For-
men annahm, mittels des allgemeinen Wahlrechtes brechen. Er
stand damit auf der Plattform des Thronfolgers. Ob und inwieweit
er tatsächlich dessen Vertrauensmann, eventuell Willensexekutor war,
vermag ich nicht anzugeben. Immerhin neige ich, der ich später die
politischen Anschauungen des Erzherzogs genau kennen lernte, der
Ansicht zu, daß Franz Ferdinand Kristoffy sowie das ganze Mini-
sterium Fejervary nicht allzu kräftig unterstützt haben mochte. Ge-
nau genommen, hatte der Thronfolger im Innern eigentlich gar nichts
dagegen, wenn die Dinge in Ungarn immer schlechter und schlechter
liefen, denn er wollte— wenn der greise Kaiser einmal die Augen ge-
schlossen hatte— schließlich als Retter auftreten. Dazu bedurfte er
aber des allgemeinen, alle Nationalitäten umfassenden Wahlrechtes,
mit dem er dann— einem Deus ex machina gleich— hervortreten
und das Land in die ihm genehme Richtung lenken wollte. Ein vor-
zeitiges Demaskieren dieser, seiner Ansicht nach wirksamsten Batterie
im Kampfe gegen die Unabhängigkeits-, vulgo Losreißungsbestre-
bungen hätte ihm gar nicht gepaßt.
Ende 1905 bisApril igo6spieltensichinUngarnwieder dieheftigsten
Kämpfe ab. Sie nahmen in manchen Orten einen direkt bedrohlichen
Charakter an. Es kam erneut zu Rekrutenverweigerungen, zimi Ex-
lex-Zustand, und im Parlament tobten oft die wüstesten Szenen. In
dieser Radauperiode und auch nachher wurden die schwersten Fehler
begangen. Die gewalttätige Nationalitätenpolitik ließ den Nationali-
täten kaum eine andere Wahl als Entnationalisierung oder kultu-
rellen Niederbruch. Das hinderte die ungarische Unabhängigkeits-
partei aber nicht im geringsten, mit den kroatischen Dissidenten, die
eine ausgesprochen staatsgefährliche Richtung einschlugen, in enge
Berührung zu treten. Weiter das unverhüllte Bestreben, die Armee
— wenigstens den ungarischen Teil derselben— zu ruinieren und
schließlich sogar das Anknüpfen staatsgefährlicher Verbindungen mit
dem Auslande (Serbien und Italien)— unverständliche Fehler und
Verirrungen, die die Monarchie, besonders aber Ungarn, in die größte
Gefahr bringen mußten. Es konntegeschehen, daßeinoppositioneller
Politiker in offener Parlamentssitzung den tollen Ruf ausstieß: „Wir
haben diese Armee zu einer Operettenarmee gemacht!" Ungarische
Abgeordnete unternahmen einen politischen Ausflug nach Serbien,
wobei der Abgeordnete Rakowsky die serbischeund ungarischeFahne
kreuzte, um sie als Verbündete
,, gegen Wien" zu bezeichnen. Der
Abgeordnete mit dem ,,urmagyarischen Namen Hock" rief den Ser-
ben emphatisch zu: „Sie mögen neue Kanonen bestellen, aber nicht
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Aus Österreichs Höhe und Niedergang
Eine Lebensschilderung
- Titel
- Aus Österreichs Höhe und Niedergang
- Untertitel
- Eine Lebensschilderung
- Autor
- Auffenberg von Komarów
- Verlag
- Drei Masken Verlag München
- Ort
- München
- Datum
- 1921
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.4 x 21.6 cm
- Seiten
- 536
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918