Seite - 115 - in Aus Österreichs Höhe und Niedergang - Eine Lebensschilderung
Bild der Seite - 115 -
Text der Seite - 115 -
sequent eingehalten worden, hätte das Schicksal des Staates viel-
leicht einen anderen Lauf genommen. Mein Grundsatz: „Durch
Vielheit zur Einheit" hätte möglicherweise zu einem Staatswesen
geführt, das bei aller föderativen Vielgestaltigkeit doch einen ge-
meinsamen Kern und— was noch mehr galt— im großen ein ein-
heitliches Zielgehabthätte. Ichwarüberzeugt, daßschondamalsdarin
das einzige Heil der Monarchie und der Nationen zu finden gewesen
wäre, da die Aufrechterhaltung des starren, vielfach auch ungerechten
Systems desDualismus nichtmehr länger bestehen, imd der brennende
Wunsch der Völker nach Autonomisierung nicht mehr länger unter-
drückt werden konnte.
Ich fuhr nach Böhmen und inspizierte die Josefstädter Korpsschule
auf den Schlachtfeldern von 1866. Wie imposant und stimmungsvoll
erschien mir und uns allen damals das Königgrätzer Feld in seiner
stummen Größe, und wie relativ klein, völlig winzig repräsentiert es
sich wohl jetzt all jenen, die im Weltkrieg kämpften. Mit dem Be-
such der Schulen inPragundInnsbruck absolvierte ich deneinmaligen
Zyklus meiner Inspizierungstätigkeit.
Die vielfachen Eindrücke, die ich während desselben gewonnen
hatte, im Zusammenhang mit den Studien und Beobachtungen, die
mich hinsichtlich der Offiziersverhältnisse während meiner ganzen
Dienstzeit beschäftigt hatten, veranlaßten mich, ein Memoire zu ver-
fassen. In meinen spätem Jahrenwurde es mir völlig zur Gewohnheit,
meine Gedanken über wichtige Fragen organisatorischer, politischer,
müitärischer Natur zu Papier zu bringen. Oftzum Nutzen der Sache,
manchmalzumSchaden meiner Person, da ich mich stets einer großen
Offenheit befleißigte.
Dieses Memorandum behandelte ich mit tiefer Gründlichkeit, hob
die Vorzüge unseres Offizierskorps hervor, die in einer entsprechenden
Sach- und Fachkenntnis, in eifriger Pflichterfüllung und in außer-
ordentlicher Genügsamkeit und Anpassungsfähigkeit bestanden. Da-
bei bildete jedoch die ihm gleichfalls innewohnende Bescheidenheit
und I^enksamkeit schon den Übergang zu dessen Schattenseiten, da
sievom Mangel kräftiger Männlichkeitund selbstbewußter Charakter-
stärkekaum mehr zu unterscheiden waren. Daraus entstammte auch
dernurmäßig entwickelte Gemeingeistund die meistgänzlicheSchutz-
losigkeit, in die jeder geriet, der als einzelner durch widrigeUmstände
oder durch Einflüsse mißwollender, aber einflußreicher Persönlich-
keiten oder am Ruder befindlicher Kreise schwierigen Situationen
auf Gnade und Ungnade preisgegeben war. Konnte er sich da selbst
nicht helfen, war er bös daran. An seinen Vorgesetzten und Kame-
raden fand er nur selten einen Rückhalt.
5- 115
Aus Österreichs Höhe und Niedergang
Eine Lebensschilderung
- Titel
- Aus Österreichs Höhe und Niedergang
- Untertitel
- Eine Lebensschilderung
- Autor
- Auffenberg von Komarów
- Verlag
- Drei Masken Verlag München
- Ort
- München
- Datum
- 1921
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.4 x 21.6 cm
- Seiten
- 536
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918