Seite - 118 - in Aus Österreichs Höhe und Niedergang - Eine Lebensschilderung
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Ich begab mich wie alljährlich auf Urlaub nach Rutzing. Bei
meiner Ankunft las ich das Telegramm, das den Ausbruch der jung-
türkischen Revolution meldete. Dies wirkte sensationell auf mich,
und noch vom Bahnhofe aus schrieb ich an Aehrenthal einen Brief,
worin ich ihm in längerer Auseinandersetzung darlegte, daß nach
meiner innersten Überzeugung der letzte Moment gekommen sei, die
Annexion Bosniens und der Herzegowina durchzuführen. Ich bilde
mir beüeibe nicht ein, daß jene in Hast niedergeschriebenen Zeilen
die auslösende Ursache zur Annexion gewesen wären, die leider erst
drei Monate später vollführt wurde. Doch Stimmung dürfte dieser
prompt abgegebene militärische Rat vielleicht doch gemacht haben.
Tatsächlich kam später das Gerücht in Umlauf, daß eine von einem
höheren Militär verfaßte Denkschrift den letzten Anstoß gegeben
habe.
In den ersten Septembertagen nach Wien heimgekehrt, präsentierte
ich mich bei Aehrenthal, der mir andeutete, daß eine Aktion bezüg-
lich Bosniens im Gange sei. Sich in diplomatisches Schweigen, viel-
mehr Verbergen hüllend, brachte er mich auf den Sandzak zu spre-
chen. Es bedurfte keiner besonderen diplomatischen Findigkeit, die
mir auch gar nicht eigen war, um herauszufinden, daß er meine mili-
tärische Ansicht in der Räumungsfrage zu hören wKinsche. Ich gab
sie ihm unumwunden und sagte ohne viel Einleitung, daß man froh
sein könne, bei dieser Gelegenheit den Kopf aus der SchUnge zu
ziehen und mit einer großzügigen Geste den hochherzig Schenkenden
zu spielen. Aehrenthal war es sichtlich eine Erleichterung, dies zu
hören. Er wurde gesprächiger und meinte, daß ein anderer hoher
Militär (wahrscheinlich Conrad) eine ähnliche Ansicht geäußert hätte.
Diese Ratschläge wurden dann auch bald in die Tat umgesetzt, und
unter den mannigfachen Vorwürfen, die man dem Minister bezüglich
der Durchführung der Annexion später machte, figurierte diese an-
scheinend altruistische Spende an erster Stelle. Daher will ich die
Motive detaillieren, die mich zu dem vielleicht gerade im richtigen
psychologischen Augenblick gegebenen Rat veranlaßt hatten.
DerSandzak No\'ibazar (Plevlje) warimMomente derEinbeziehung
in unsere Machtsphäre nicht als End-, sondern als Ausgangspunkt in
Betracht gezogen worden. Unter dieser Voraussetzung, also imter
dem Motto: ,,Jusqu'au delä de Mitrovica" und mit dem eigentlichen
Endziel: Üsküb und Saloniki, konnte man alle Nachteile, die mit
dem Einmarsch in diesen durch Serbien und Montenegro abgeschnür-
«ten Hals verbmiden waren, provisorisch in Kauf nehmen. Doch von
dem Momente an, als diese Voraussetzung hinfällig wurde, wo man
also auf eine weitere Alction im Andrassj^schen Simie verzichtete,
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Aus Österreichs Höhe und Niedergang
Eine Lebensschilderung
- Titel
- Aus Österreichs Höhe und Niedergang
- Untertitel
- Eine Lebensschilderung
- Autor
- Auffenberg von Komarów
- Verlag
- Drei Masken Verlag München
- Ort
- München
- Datum
- 1921
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.4 x 21.6 cm
- Seiten
- 536
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918