Seite - 144 - in Aus Österreichs Höhe und Niedergang - Eine Lebensschilderung
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war, die Mitgliederzahl in Bosnien— allen voran in Sarajewo— so
zu lieben, daß sie diejenige aller anderen Kronländer überbot.
März 1911 kam es deutlich zum Ausdruck, daß der Rücktritt Vare-
sanins baldigst erfolgen würde. Da vollzog sich im ganzen Lande
eine ausgesprochene Bewegung, die mich zum Nachfolger wissen
wollte. Der Kaiser hatte volle Kenntnis davon. Doch bei dem ge-
ringen Maß an Gunst, das mir zuteil war, hatte die mächtige Gegen-
strömung leichtes Spiel. Diese Gegenströmung ging von der Militär-
kanzlei, in erster Linie von deren Chef, Baron Bolfras, aus. Dieser
von Gefühlsregungen sonst wenig angekränkelte Mann war von
einer schwärmerischen Verehrung für Feldzeugmeister Potiorek durch-
drungen und nützte seine dienstliche Stellung, um den Monarchen
in diesem Sinne zu beeinflussen. Auch Franz Ferdinand verhielt
sich gegen die für meine Person eingesetzte bosnische Bewegung ab-
lehnend. Er wollte mich für den Ministerposten in Reserve halten.
Überdies schien damals sein für mich gehegtes Wohlwollen momentan
herabgemindert. Einer jener Stimmungsumschläge, die leider seine
Charaktereigentümlichkeit waren und Ohrenbläsereien mitunter auch
untergeordneter Elemente Tür und Tor öffneten.
Mitte März, als ich einige Tage in Wien weilte, war Potioreks Er-
nennung"feststehend. Ich suchte ihn auf und stellte ihm meine Per-
sonal- und Detailkenntnisse zur Verfügung. Wir sprachen eingehend
und herzlich, wenngleich ich mir bewußt war, daß unser Zusammen-
wirken nicht ohneSchwierigkeiten verlaufen würde. Zwei ausgeprägte
Persönlichkeiten mit übergreifenden Kompetenzen am gleichen Platz
werden letzten Endes fast immer Rivalen.
Anfang Mai traf ein Expreßbrief des Obersten Brosch ein, darin
er mir mitteüte, daß der Thronfolger erneut, diesmal mit Erfolg,
seine Ideen bezüglich des Ministerwechsels vorgetragen, und daß ich
die Berufung baldigst erwarten könne. Nach wenigen Tagen kam
die Nachricht, daß Franz Ferdinand mit dem Kaiser neuerdings
brouilliert sei, und die Angelegenheit wieder hinausgeschoben wer-
den müsse.
In jener Zeit gab's interessante Besuche in Sarajewo. Türkische
Offiziere, begeisterte Anhänger der jungtürkischen Richtung, die ge-
radezu stürmisch die Europäisierung der Türkei und deren enge Ver-
bindung mit Österreich-Ungarn verlangten, und hierbei für das radi-
kalste Mittel schwärmten.—
Dann derbekannteJesuitenpaterGrafGalen, dersichoffenbaraufIn-
tention Franz Ferdinands und der Herzogin von Hohenberg zwecks
Orientierung der Verhältnisse im Lande aufhielt: ein päpstlicher Le-
gat, der den Streit zwischen weltlichemKlerus, Erzbischof Dr.Stadler
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Aus Österreichs Höhe und Niedergang
Eine Lebensschilderung
- Titel
- Aus Österreichs Höhe und Niedergang
- Untertitel
- Eine Lebensschilderung
- Autor
- Auffenberg von Komarów
- Verlag
- Drei Masken Verlag München
- Ort
- München
- Datum
- 1921
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.4 x 21.6 cm
- Seiten
- 536
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918