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Michael Tangl (1861–1921) 35
in den 1880er Jahren : „[…] den schlanken und sangesfrohen Jüngling, dessen innerstes
Wesen Frohsinn und Treuherzigkeit, Offenheit und Enthusiasmus waren, eine echte ös-
terreichische Natur, aber von dem kräftigeren und solideren Kärntner Schlag.“48 „Der
liebenswürdige und heitere Österreicher“, wie Kehr den bereits zum Universitätsprofessor
avancierten Tangl bezeichnet, der „vor den berühmteren Kollegen […] bescheiden in den
Hintergrund“49 trat, war sich seiner wissenschaftlichen Leistungen aber durchaus bewusst,
wie seine Antrittsrede vor der Preußischen Akademie der Wissenschaften anläßlich der
Wahl zum Ordentlichen Mitglied 1918 zeigt50.
Menschliche Wärme, Geradlinigkeit, Ehrlichkeit, Bescheidenheit, auch Heiterkeit,
Kunstsinn und vor allem große Hingabe an seinen Beruf als Wissenschaftler und Lehrer
sind jene Eigenschaften, die von Zeitgenossen Tangls, die ihn persönlich gekannt haben,
am häufigsten zur Charakterisierung des Menschen Michael Tangl hervorgehoben wer-
den51. Dem gegenüber stand offenbar eine gewisse Unfähigkeit, in Zeiten der Überfor-
[…], […] der alles übernahm, nichts fertig machte und viel Geld kostete […], der gute Michael wird so schließlich
gar ein großer Mann […] und andere herabwürdigende Bemerkungen in einem Brief an Werner Richter vom
20.02.01923 (München, Archiv der MGH 338/15 fol. 48r–50r) ; ed. Horst Fuhrmann, „Sind eben alles Men-
schen gewesen“. Gelehrtenleben im 19. und 20. Jahrhundert. Dargestellt am Beispiel der Monumenta Germaniae
Historica und ihrer Mitarbeiter (München 1996) 157–160, hier 158 : […] Tangl, der kein großes Licht war […].
Dem gegenüber steht die bei Pferschy-Maleczek, Diplomata-Edition (wie Anm. 18) 419 Anm. 46, zitierte
Stelle aus einem Brief Tangls an Ottenthal (20.01.1905, Wien, IÖG, Diplomata, Ordner 2) im Zusammenhang
mit der von Kehr – nicht auf ganz geradem Weg – erwirkten Beauftragung mit der Edition der Diplome Friedrichs
II.: Kehr hat sich auch bei dieser Gelegenheit wieder in wahrem Lichte gezeigt, als der Mann, der nichts ohne Brutalität
und nichts ohne Schwindel unternehmen kann. In der Auseinandersetzung, ob die Diplome Friedrichs II. durch die
Wiener Diplomataabteilung oder, wie von Kehr angestrebt, durch das seiner Leitung unterstehende Preußische
Historische Institut in Rom durchgeführt werden sollte, hatte Tangl Ottenthal in mehreren Briefen (Wien, IÖG,
Diplomata, Ordner 2 : 18.12. und 28.12.1904 ; 20.01., 22.01., 15.03. und 30.03.1905) über seinen Standpunkt
und die neuesten Entwicklungen in Berlin informiert.
48 Kehr, Tangl (wie Anm. 6) 139.
49 Ebd. 141.
50 „Ich habe“, so schildert er, „[…] das Treiben eines modernen Fälschers, des Lilienfelder Zisterziensers Chry-
sostomos Hanthaler, als erster im ganzen Zusammenhang aufgedeckt, für die angefochtene Echtheit des ös-
terreichischen Privilegium Minus eine Lanze gebrochen […] Ich darf bekennen, zur Kenntnis des päpstlichen
Urkunden- und Verwaltungswesens des späteren Mittelalters durch grundlegende Arbeiten beigetragen […]
zu haben.“ Und im Zusammenhang mit seiner Arbeit an den Karolingerurkunden stellt er fest : „Es gelang
mir, die zur guten Hälfte noch nicht entzifferten tachygraphischen Vermerke der Urkunden zu lesen und die
Bedeutung dieser Eintragungen für die Kenntnis des Zustandekommens der Urkunden und der Kanzleior-
ganisation festzulegen.“ Etwas zurückhaltender fällt sein Urteil über seine Leistungen auf dem Gebiet der
Urkundenkritik aus : „Bei der Bearbeitung wichtiger und schwieriger Urkundenreihen wie der Fuldaer und
Osnabrücker glaube ich an der Ausfeilung der Methode der Urkundenkritik, zumal der Kritik der Urkunden-
fälschungen, nicht unbeteiligt geblieben zu sein.“ Vgl. Tangl, Antrittsrede (wie Anm. 3) 703–704.
51 „Große innere Wärme“, „unbestechliche Urteilskraft“ und „hingebende Lehrtätigkeit“ bescheinigt etwa
Brandi, gemeinsam mit Bresslau Tangls Weggefährte bei der Gründung des Archivs für Urkundenforschung,
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 2
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 678
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien