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Michael Tangl (1861–1921) 37
III. Eine „Tangl-Schule“ ? Das Verhältnis Michael Tangls zu
seinen Schülern und Mitarbeitern
Einer der wenigen Kritikpunkte, die über die Biografie Tangls von Annekatrin Schaller
geäußert wurden55, betrifft das Postulat einer von Tangl begründeten „Schule“, die be-
reits im Titel des Buches angesprochen wird und der Schaller einen beträchtlichen Teil
ihrer Biografie widmet56. Dabei handelt es sich, wie so oft, um eine Frage der Definition
– im konkreten Fall des Begriffs der wissenschaftlichen „Schule“. Wenn das innovative
Element, sei es in inhaltlichem oder in methodischem Sinn, als unerlässliches Merkmal
einer Schule – wovon die Rezensenten augenscheinlich ausgehen – gesehen wird, ist die
Kritik berechtigt. Denn Tangl stand nach seinem eigenen Selbstverständnis in erster Linie
und vor allem in der hilfswissenschaftlichen Tradition Sickels und des IÖG, ohne diese
selbst maßgeblich weiterentwickelt zu haben. Freilich finden sich in seinen Arbeiten auch
gewisse Neuansätze, deren Verbreitung mit der Gründung des „Archivs für Urkundenfor-
schung“ beabsichtigt war. Hier ist besonders die Forderung nach Ausweitung der Urkun-
denforschung in chronologischer und quellengattungsmäßiger Hinsicht zu nennen. Eine
Weiterentwicklung der Methode stellt auch der von Tangl mehrfach geforderte – freilich
seltener tatsächlich vollzogene – Dialog mit Nachbarwissenschaften, die „Interdisziplinari-
tät“, dar. Insgesamt gesehen kommt diesen Ansätzen jedoch eher der Stellenwert einer fast
natürlichen Weiterentwicklung und Erweiterung der Historischen Hilfswissenschaften als
der einer grundlegenden Neubegründung zu. Innovativen Charakter hat jedoch die Tatsa-
che, dass Tangl als einer der Ersten die in Wien begründeten und damals vorrangig auch
nur dort institutionell verankerten Historischen Hilfswissenschaften nach Deutschland
brachte, und es ihm gelang, sie dort sowohl im Universitätsbetrieb als auch etwa durch die
Ausbildung künftiger Archivare und Mitarbeiter bei den MGH fest zu verankern.
leeres Wort, wenn man ihn selbst ein Opfer des Krieges nennt. Nicht ohne Erschütterung beobachteten die
ihm Näherstehenden […] die Folgen der Unterernährung […].“ Nicht nur ihm Nahestehende oder Personen,
die – wie Kehr – Tangl schon seit Langem kannten, waren Zeugen des körperlichen und geistigen Verfalls,
auch Karl Hampe beschrieb anlässlich seiner Wahl in die Zentraldirektion der MGH in einer Tagebucheintra-
gung vom 28.04.1917 Tangl als körperlich und geistig etwas reduziert scheinend […]. Hampe, Kriegstagebuch,
hg. v. Reichert, Wolgast (wie Anm. 26) 539.
55 Vgl. etwa die Rezensionen von Schaller, Tangl (wie Anm. 1) : Georg Vogeler in : sehepunkte 3 (2003)
Nr. 2 (15.02.2003) ; http ://www.sehepunkte.de/2003/02/1709.html (letzter Zugriff 12.11.2009) : „[…] schält
sich nur eine sehr undeutliche inhaltliche Kontur heraus“, und Mark Mersiowsky in : DA 59 (2003) 616 :
„Die ‚Kenntnis der exakten kritischen Methode im Umgang mit den Quellen als Fundament historischer
Forschung‘ (S. 304) ist allerdings zu wenig, um wirklich von einer Schule Tangls sprechen zu können.“
56 So Kapitel 10 des ersten Teils (Biografie) : „Die Tangl-Schule – Verbindung von Forschung und Lehre“ 188–
214, und den gesamten zweiten Teil : „Die Schüler von Michael Tangl – Wissenschaftliche Entwicklungswege
und Prosopographien“ 302–350.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 2
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 678
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien