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Michael Tangl (1861–1921) 55
Bereits seit Ende 1905 widmete er sich mit seinen Mitarbeitern der Vorbereitung des
zweiten Bandes, der die Urkunden Ludwigs des Frommen enthalten sollte. Für ihn ließ
Tangl von Beginn an Diktatuntersuchungen vornehmen, breiten Raum nahm auch die
Beschäftigung mit den zahlreichen Fälschungen in Anspruch. Zu Beginn des Ersten Welt-
krieges zeigte sich Tangl noch optimistisch, bald mit dem Druck der Urkunden Ludwigs
des Frommen beginnen zu können146. Wegen der Einberufung der wichtigsten Mitarbei-
ter kam das Projekt jedoch ins Stocken und konnte erst nach Kriegsende wieder aufge-
nommen werden. Hinderlich war allerdings auch dann noch die Unmöglichkeit, auslän-
dische, vor allem französische Archive zu besuchen. Tangl hatte sich schon seit Beginn des
Krieges nicht mehr selbst an der Bearbeitung der Urkunden Ludwigs des Frommen be-
teiligt und überließ 1921 die Edition zur Gänze seinem Mitarbeiter Ernst Müller. Bereits
im Frühjahr 1920 hatte er bei der Zentraldirektion der MGH beantragt, die Leitung der
Abteilung niederlegen zu dürfen und diese Kehr zu übertragen, zu einer entsprechenden
Regelung kam es jedoch zu Lebzeiten Tangls nicht mehr147.
Im Dezember 1897 wurde Michael Tangl vom Leiter der Leges-Abteilung, Heinrich
Brunner, angeboten, die Herausgabe der unter dem Begriff Placita zusammengefassten
älteren fränkischen und italienischen Gerichtsurkunden zu übernehmen. Obwohl Tangl
wegen der mangelhaften Vorarbeiten zögerte, die Aufgabe zu übernehmen, konnte ihn
Brunner schließlich überreden, bestimmte Untersuchungen an Handschriften durch-
zuführen und die editionstechnische Vorbereitung der Ausgabe zu betreuen. Noch von
Marburg, später von Berlin aus unternahm Tangl zu diesem Zweck mehrere Reisen nach
Frankreich, vor allem nach Paris, dann auch nach Süddeutschland und in die Schweiz.
Nachdem 1902 die Materialsammlung in Deutschland als abgeschlossen betrachtet wer-
den konnte, konzentrierte sich Tangl von 1904 bis 1906 gemeinsam mit seinem Schü-
ler Mario Krammer auf die Vervollständigung des französischen Materials. In der Folge
wandte sich Tangl gemeinsam mit dem Historiker und Juristen Karl Rauch der Texter-
stellung zu, anschließend der Einleitung und den Kommentaren zu den einzelnen Stü-
cken. Nach 1908 dürfte Tangl sich kaum mehr mit den Placita beschäftigt haben : andere
Editionsvorhaben, besonders die Epistolae rückten in den Mittelpunkt seines Interesses.
Obwohl er den Druckbeginn mehrfach angekündigt, wieder verschoben und schließlich
für die Zeit nach dem Ende des Krieges in Aussicht genommen hatte, konnte er offenbar
unter den widrigen Umständen der schwierigen Nachkriegsjahre die Energie für den end-
gültigen Abschluss der Arbeiten nicht mehr aufbringen. Kehr resümierte nach dem Tod
Tangls : „Das Manuskript ist heute noch nicht druckfertig. Schuld daran war weniger eine
gewisse lässige Art, die Dinge gehen zu lassen, als die damals häufig wechselnde Lage der
146 Vgl. Schaller, Tangl (wie Anm. 1) 263f.
147 Ebd. 278–281.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 2
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 678
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien