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60 Andrea Rzihacek und Christoph Egger
Tätigkeit und Organisation der MGH enthielt. Sein Verfasser, Wilhelm Gundlach, war
als ehemaliger Mitarbeiter der MGH mit den internen Strukturen des Unternehmens
vertraut. Er hatte unter der Leitung von Dümmler in der Abteilung Epistolae am ers-
ten Band der Edition der „Epistolae Merowingici et Karolini aevi“ mitgearbeitet165, war
jedoch 1892 von diesem – offiziell aus Einsparungsgründen – entlassen worden166. Per-
sönliche Verbitterung über diesen Schritt veranlassten Gundlach in der Folge mehrfach
– zunächst im Rahmen seiner Edition von „Heldenliedern“ – die MGH, Dümmler und
insbesondere Holder-Egger aufs Schärfste anzugreifen167. In den „Grenzboten“ nahm er
erneut die Gelegenheit wahr, seine Kritik, nun vor breiterem Publikum, zum Ausdruck zu
bringen. Neben der Einsparung des Amtes des Vorsitzenden der Zentraldirektion168, die
165 Epistolae Merowingici et Karolini aevi 1, hg. v. Wilhelm Gundlach, Ernst Dümmler u.a. (MGH.
Epistolae [in Quart] 3, Berlin 1892, ND 1994).
166 Michael Tangl, Wilhelm Gundlach und sein Angriff auf die Monumenta Germaniae historica, in : All-
gemeine Zeitung Nr. 76 vom 4. April 1903, 1–3, geht auf die Umstände der Entlassung Gundlachs nicht
näher ein. Aus seiner Bemerkung, „[…] daß es an Gründen in seiner Person nicht mangelte“ (ebd. 1), geht
aber hervor, dass es sich nicht um eine reine Sparmaßnahme gehandelt hat. Vgl. dazu auch die Stellung-
nahme Dümmlers gegenüber dem Staatssekretär von Bötticher im Reichsministerium des Inneren : Obgleich
im Ganzen fleißig und gewissenhaft arbeitete er doch ungemein langsam […] er zeigte sich außerdem im Verkehr
so dünkelhaft, eigensinnig und verschroben, daß überhaupt Niemand etwas mit ihm zu thun haben mochte und er
sich allen Belehrungen stets fast unzugänglich erwies. Anträge Gundlachs auf weitere Mitarbeit bei den MGH
habe er daher mit Rücksicht auf die Notwendigkeit weiteren Sparens, aber keineswegs bloß aus diesem Grunde,
sogleich abgelehnt […]. Brief Dümmlers an Bötticher vom 20.04.1892, München, Archiv der MGH, 338/195
(PA Wilhelm Gundlach).
167 Heldenlieder der deutschen Kaiserzeit 1–3, hg. v. Wilhelm Gundlach (Innsbruck 1894–1899). Hier hatte
Gundlach bereits 1896 im Vorwort zum 2. Band wesentliche Punkte seiner Angriffsschrift – die Vernachläs-
sigung der Scriptores rerum germanicarum in usum scholarum durch die Leitung der MGH und die Ver-
wendung der lateinischen Sprache in den Einleitungen und Erläuterungen zu den Editionen, zum Großteil
in wortwörtlicher Übereinstimmung, unter Anführung derselben Beispiele und Zitate sowie der gleichen
polemisierenden Ausdrucksweise – vorgebracht, vgl. Heldenlieder 2 V–XIII. In einem Excurs „Über Stil-
vergleichung als Mittel des historischen Beweisverfahrens“ 757–780 im selben Band sowie in den „Verbes-
serungen und Nächträgen“ zum dritten Band der „deutschen Heldenlieder“, Heldenlieder 3 1052–1061,
nahm er in ausführlichster Form zur Kritik Holder-Eggers an seiner wissenschaftlichen Argumentation, die
ebenfalls in den wesentlichen Punkten im Artikel in den „Grenzboten“ wiederholt wird, vorweg. In diesem
Zusammenhang findet sich auch bereits die Kritik an der Position des Vorsitzenden der Zentraldirektion
gegenüber seinen Abteilungsleitern, die Gundlach letztlich dazu bewogen haben dürfte, für die Abschaffung
dieses Amtes zu plädieren.
168 Zum Beweis der „Machtlosigkeit“ des Vorsitzenden gegenüber den Abteilungsleitern führte er die – in seinen
Augen – verbalen Entgleisungen Holder-Eggers in seinen Rezensionen an, in denen dieser abwertende Aus-
drücke wie „ridiculus/lächerlich“, „ineptus/läppisch“, „puerilia/kindisch/Kindereien“ und „ineptia/Albern-
heit“ verwendete, denen der Vorsitzende, selbst wenn er gewollt hätte, nicht Einhalt gebieten konnte, vgl.
Gundlach, Monumenta (wie Anm. 164) 2, nur mit den ins Deutsche übersetzten Begriffen ; davor bereits
in Heldenlieder 2 (wie Anm. 167) 779f. – hier gibt er die tatsächlich in den lateinischen Vorreden verwende-
ten lateinischen Ausdrücke wieder.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 2
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 678
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien