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Michael Tangl (1861–1921) 65
Persönliche Beziehungen bestimmten auch in anderen Bereichen Tangls Stellung in
der wissenschaftlichen Welt seiner Zeit. Sein Hervorgehen aus dem von Sickel geleiteten
IÖG stellte ihn in wissenschaftliche und persönliche Zusammenhänge, von denen sich
Tangl erst nach und nach emanzipieren konnte. Sein Verhältnis zu Sickel, soweit es aus
Briefen ablesbar ist, ist stets von verehrungsvoller Hochachtung gekennzeichnet, lässt aber
trotzdem eine gewisse persönliche Distanz erkennen. Besonders deutlich wird dies, wenn
man Tangls Briefe an seinen Lehrer Engelbert Mühlbacher zum Vergleich heranzieht. Eine
Passage wie die folgende wäre in einem Brief an Sickel undenkbar : Sonst zählt zu den ge-
meinsamen Arbeiten auch das Erscheinen bei den allfreitäglichen Empfangsabenden des Herrn
Hofraths, die an Buntscheckigkeit des Publikums schon gar nichts zu wünschen übrig lassen,
oft aber recht belebt und jedenfalls ungleich hübscher sind als die bei Petersen auf dem Capitol,
wo die öde Art der gewissen ästhetischen deutschen Jungfrauen noch viel zahlreicher vertreten
ist ; ein geradezu abschreckendes Beispiel letzterer Sorte ist Frl. Schottmüller186. Tangls größere
persönliche Nähe zu Mühlbacher wird auch in seinen Äußerungen über den Konflikt
zwischen Mühlbacher und Sickel sichtbar187. In einem Brief an Emil von Ottenthal über
Sickels kürzlich erfolgtes Ableben erwähnt er ausdrücklich Sickels Hass auf Mühlbacher
und geht näher auf die Schwierigkeiten ein, die ihm dieser Sachverhalt bei der Abfassung
des Nachrufes bereitete188. Möglicherweise hatten sich diese Spannungen auch hemmend
auf Tangls Karriere ausgewirkt, indem ihm für die Nachfolge Mühlbachers in Wien auf
Äußerungen Gundlachs zu Datierung und Echtheit einiger Urkunden Heinrichs IV. (hier besonders 233–
250), jedoch nicht ohne auch dessen zutreffenden Beobachtungen zuzustimmen.
186 Wien, IÖG, NL Mühlbacher, 09.03.1889, Brief an Mühlbacher. Die genannten Personen sind Adolf Her-
mann Eugen Petersen (1836–1919), 1887–1905 Leiter des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom
(NDB 20, 254f.), und Conrad Schottmüller (1841–1894), als „Dirigierender Sekretär der Historischen Sta-
tion in Rom“ 1888–1890 erster Leiter des Preußischen Historischen Instituts, siehe Reinhard Elze, Das
Deutsche Historische Institut in Rom 1888–1988, in : Das Deutsche Historische Institut in Rom 1888–
1988, hg. v. Reinhard Edems., Arnold Esch (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 70,
Tübingen 1990) 1–31, hier 5f. Vgl. auch IÖG, NL Mühlbacher, Brief vom 05.04.1889 : Um aber doch auch
was Heiteres zu bringen : das Frl. Schottmüller erzählte mir unlängst : „Der Papa steht morgens um 6 Uhr auf,
dann frühstückt er, und dann diktiert er durch zwei Stunden der Mama.“ – „da kommt aber auch was heraus“,
fügte sie stolz hinzu !
187 Zum schwierigen Verhältnis Mühlbacher–Sickel vgl. Walther Holtzmann, La corrispondenza fra Theodor
von Sickel ed Oreste Tommasini, in : Archivio della Società romana di Storia patria 79 ser. III 10 (1956) 89–
143, hier 109 Nr. 25 (Tommasini an Sickel, 17.08.1892) ; Leo Santifaller, Briefe von Wilhelm Fraknói
an Theodor von Sickel aus den Jahren 1877 bis 1906, in : Römische Historische Mitteilungen 6/7 (1964)
191–351, hier 226 Nr. 34 (21.06.1892) und 287 Nr. 102 (02.05.1903) ; Lhotsky, Geschichte des Instituts
(wie Anm. 5) 202f.; Sickel, Römische Erinnerungen (wie Anm. 68) 50 (Mühlbacher wird von Sickel als
„Gegner“ bezeichnet) ; Fichtenau (wie Anm.13) 19 und 33.
188 Wien, IÖG, NL Ottenthal, 04.07.1908, Brief an Ottenthal ; siehe Anhang. Vgl. auch die Andeutungen in :
Theodor von Sickel. Ein Nachruf von M. Tangl, in : NA 33 (1908) 773–781, besonders 778 und 780.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 2
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 678
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien