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Michael Tangl (1861–1921) 73
XI. Die wissenschaftlichen Leistungen Tangls im Blick
seiner Zeit und aus heutiger Sicht
Angesichts des fast völligen Fehlens einschlägiger eigener Äußerungen ist es kaum mög-
lich, Tangl eindeutig einer der an der Universität Berlin zu seiner Zeit bestehenden Grup-
pierungen zuzuordnen217. Als Österreicher und Katholik218 blieb er wohl bis zu einem
gewissen Grad tatsächlich – wie dies von ihm besonders in den Anfangsjahren stark emp-
funden wurde – ein Außenseiter. Von seiner Weltanschauung her ist er am ehesten zu
jener Gruppe von Professoren zu zählen, der etwa auch Dietrich Schäfer und Eduard
Meyer angehörten und die, meist gemäßigt-national, den konservativen Historismus
vertraten219. Innerhalb seiner Disziplin gehörte er, was die Übernahme und Ausübung
organisatorischer und wissenschaftlicher Schlüsselfunktionen betrifft, zur Gruppe der ein-
flussreichsten Berliner Professoren seiner Zeit. So rangiert er sowohl hinsichtlich seiner
Mitgliedschaften in Habilitations- und Berufungskommissionen, bei der Zahl von Habi-
litationen, die er als Erst- und Zweitgutachter betreute, sowie als Institutsleiter jeweils im
Spitzenfeld unter den 25 zwischen 1890 und 1933 als ordentliche Lehrstuhlinhaber an
der Berliner Universität wirkenden Historikern220. Im Gegensatz dazu war sein wissen-
schaftliches Prestige nach außen hin jedoch bemerkenswert gering. Dies zeigt sich in der
vergleichsweise geringfügigen Übernahme wichtiger Universitätsämter (nur einmal, näm-
lich 1912/13, fungierte Tangl als Dekan), seiner erst ungewöhnlich spät – nämlich erst 18
Jahre nach seiner Berufung nach Berlin – erfolgten Wahl in die Preußische Akademie der
Wissenschaften221 sowie in seiner erst nach seinem Tod erfolgten Berücksichtigung in den
217 Vgl. oben 68 mit Anm. 198–199.
218 Nach Stengel, Tangl (wie Anm. 36) 374, hatte Tangl „oft betont […] daß er, der österreichische Katholik,
kein eifernder Sohn seiner Kirche war.“
219 Vgl. Kolář, Geschichtswissenschaft (wie Anm. 57) 405. Ob allerdings etwa die ablehnende Haltung Tangls
im Habilitationsverfahren des sozialistischen Publizisten Gustav Mayer, nachdem sich dieser nach seiner ei-
genen Schilderung in der Befragung nach seinem Habilitationskolloquium bemerkenswerte fachliche Blößen
gegeben hatte, mit „politischem Konservativismus“ begründet werden kann (vgl. ebd. 461–465) darf bezwei-
felt werden.
220 Kolář untersuchte, was er die „Distribution des wissenschaftlichen Machtkapitals 1890–1933“ bzw. die „Dis-
tribution der disziplinären Macht“ nennt, an der Berliner Universität ; vgl. Kolář, Geschichtswissenschaft
(wie Anm. 57) 407 (Tabelle III). „[…] Hans Delbrück, Dietrich Schäfer, Friedrich Meinecke, Otto Hintze,
Michael Tangl, Eduard Meyer und Max Lenz […] hielten die Kontrolle über die ganze Disziplin zwischen
den Jahren 1890 und 1933 in ihren Händen“, ebd. 409.
221 Der Wahlvorschlag wurde von Schäfer eingebracht. Dazu Oberkofler, Einfluß (wie Anm. 9) 236 : „Ei-
gentlich ist es erstaunlich, daß ein so politisch auftretender Historiker wie Schäfer, der zum rechten Flügel
unter den imperialistischen Historikern zählt, diese Initiative für Tangl ergriffen hat.“ Oberkofler sieht die
Erklärung dafür in der auch im Antrag (ediert ebd. 240f.) formulierten Wertschätzung der methodischen
und hohen wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden Arbeiten Tangls.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 2
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 678
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien