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108 Peter Herde
stand für das Ministerium aber außer Frage79. In seinem Schreiben vom 22. November
1901 an das Ministerium zieh freilich der juristisch unbedarfte Förster Chroust der Lüge
und machte sich damit ebenfalls der Beleidigung schuldig. Das Ministerium suchte die
Sache aus der Welt zu schaffen, indem es beiden Kontrahenten am 12. Januar 1902 den
Entwurf gleich lautender Genugtuungserklärungen vorlegte und den Senat zur Beendi-
gung dieser leidigen Angelegenheit mit dem Vollzug betraute. Chroust unterzeichnete am
20. Januar 1902 die Erklärung, worauf Förster am 25. Januar seine Privatklage zurück-
zog, am gleichen Tage dem Kultusministerium jedoch mitteilte, die gleich lautenden Er-
klärungen seien für ihn keine ausreichende persönliche Genugtuung, da sie die Vorstellung
erwecken, daß hier ganz gleichartige Vergehen gegeneinander ausgeglichen würden, was er
nicht akzeptieren könne. Er forderte das Ministerium auf, von gleich lautenden Erklä-
rungen abzusehen und neue zu entwerfen, in denen die verschiedene Schwere des Vergehens
in einer verschieden abgestuften Form der Entschuldigung zum Ausdruck gelangen. Von jetzt
an begann die „leidige Angelegenheit“ weitere Kreise zu schlagen. Die Presse hatte sich
ihrer schon seit Juni 1901 bemächtigt80. Denn Brenner und Wilcken hatten mittlerweile
Stimmung gegen Chroust gemacht und eine Mehrheit für die Ansicht zustande gebracht,
dass Chroust der alleinige Schuldige sei ; die Entgleisung Försters spielte diese Mehrheit
herunter, indem sie behauptete, er habe sich nur in der Wortwahl vergriffen, ein Ver-
teidigungsexceß.81 Das Ministerium gab am 15. Februar 1902 insofern nach, als es von
Förster vorgeschlagene und vom Senat befürwortete unterschiedliche Erklärungsentwürfe
akzeptierte. Jetzt aber weigerte sich Chroust, seine „Abbitteformel“ zu unterschreiben.
Daraufhin erging am 27. März 1902 eine dritte Ministerialentscheidung in der Sache,
in der es heißt, es bestehe zu aufsichtlichem Zwang vom dienstlichen Standpunkt aus keine
ausreichende Veranlassung, Chroust zum Unterschreiben der von Förster entworfenen und
vom Senat unterstützten Erklärung zu zwingen ; das Ministerium erklärte, es müsse daher
bei der Ministerialentschließung vom 12. Januar sein Verbleiben haben. Das brachte den
Senat endgültig gegen das Ministerium auf. Die Semesterferien bedeuteten zunächst eine
Verschnaufpause. Erst am 20. Mai 1902 sandte der Senat einen von seiner Mehrheit ge-
billigten, völlig einseitig gegen Chroust gerichteten Bericht an das Ministerium, in dem
diesem unter unzutreffender Auslegung des früheren Ministerialschreibens vom 12. Ja-
nuar 1902 der Vorwurf gemacht wurde, er habe die Interessen der Korporation schwer ge-
schädigt und ein gedeihliches Zusammenwirken mit ihm sei für die Zukunft ausgeschlossen82,
79 So mit Schreiben vom 12.01.1902, wie Anm. 61f. Vgl. auch den Sonderakt Chroust contra Förster wegen Belei-
digung UAWb, ARS Nr. 1622.
80 Presseausschnitte (auch Leserzuschriften) in UAWb, ARS Nr. 1621.
81 Wie Anm. 61, 62.
82 Ebd. Entwurf in UAWb, ARS Nr. 1623. Dass der diffamierende Schlusssatz von Wilcken stammt, sagt Abert
in seinem Sondervotum ebd.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 2
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 678
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien