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110 Peter Herde
Denn liberale Partei und liberale Professoren waren entschlossen, den „Fall Chroust“
zu benutzen, um dem verhassten Kultusminister den Gnadenstoß zu versetzen. Land-
mann entstammte zwar selbst der liberalen Bürokratie, die Regierung und Verwaltung
des Königreichs Bayern prägte, hatte aber deutlich zu erkennen gegeben, dass er den
weltanschaulichen Konflikt und die konfessionelle Diskriminierung als schädlich für Staat
und Gesellschaft ansah, und sich bemüht, in seinem Wirkungsbereich eine Politik des
Ausgleichs zu betreiben. Das brachte ihm die immer schärfere Kritik der Nationallibe-
ralen und ihrer Presse ein, die sich vor allem an dem seit dem Frühjahr des Jahres 1900
einsetzenden Konflikt um das Schulbedarfsgesetz entzündete86. Es würde hier zu weit
führen, die verwickelten Pfade der bayerischen Schulpolitik zu verfolgen87 – sie betrifft im
Wesentlichen das Volksschulwesen. Seit dem Scheitern durchgreifender Veränderungen
in einem bayerischen Vorgeplänkel des „Kulturkampfes“ in den späteren 1860er-Jahren
infolge der parlamentarischen Mehrheiten der Patriotenpartei88 hatten die liberalen Kabi-
nette in einer Art „Salamitaktik“ auf dem Verordnungswege versucht, das Grundschulwe-
sen stärker zu modernisieren, zu entkonfessionalisieren und zu säkularisieren, was jedoch
nach Ansicht der Liberalen nur unzureichend gelang, so dass das Schulwesen, vor allem
die der ministeriellen Weisungskompetenz unterliegende eingeschränkte Schulaufsicht
durch Geistliche, ständiges Objekt liberaler Polemik war. Nun hat das Schulbedarfsge-
setz zahlreiche Besoldungs-, Organisations- und Kapazitätsverbesserungen gebracht, die
das bayerische Schulwesen zu einem der modernsten im damaligen Reich machten, und
es war auch von der Kammer der Reichsräte gebilligt worden89 ; den Liberalen in der
Deputiertenkammer ging es jedoch längst nicht weit genug, wofür sie Landmann verant-
wortlich machten. So arbeiteten sie auf den Sturz des Kultusministers hin und wussten
sich dabei der geheimen oder offenen Sympathie des leitenden Ministers von Crailsheim,
zweier nationalliberaler Minister, des Chefs der Geheimkanzlei sowie des preußischen
Gesandten sicher ; die Kabale reichte bis nach Berlin, wo man plante, Landmann bei
der 50-jährigen Jubiläumsfeier des Germanischen Nationalmuseums am 25. Juni 1902
in Anwesenheit des Kaisers durch Nichtberücksichtigung bei der Ordensverleihung zu
86 Vgl. Gustav Seiler, Schulbedarfsgesetz (München 1903) ; Karl Möckl, Die Prinzregentenzeit. Gesellschaft
und Politik während der Ära des Prinzregenten Luitpold in Bayern (München/Wien 1972) 521ff.
87 Guter Überblick (mit Lit.) von Albert Reble, Das Schulwesen, in : Handbuch der bayerischen Geschichte
4/2, hg. v. Max Spindler (München 1975) 950ff.
88 Vgl. Peter Herde, Der Heilige Stuhl und Bayern zwischen Zollparlament und Reichsgründung, in : ZBLG
45 (1982) 599ff., ND in : ders., Abhandlungen zur fränkischen und bayerischen Kirchengeschichte und zu
den christlich-jüdischen Beziehungen (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts
Würzburg 46, Würzburg 1996) 203ff.
89 Möckl, Prinzregentenzeit (wie Anm. 86), 522.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 2
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 678
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien