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120 Peter Herde
terium das Ergebnis seines Gesprächs mit dem Rektor130 : Wir beide sind der Meinung, dass
nichts dabei [d.h. aus der Untersuchung darüber, wer den Text des Ministerialschreibens an
die Presse weitergeleitet habe] herauskommen wird ; alle Beteiligten leugnen, also muss einer
davon die Unwahrheit sagen. Für den Kenner der hiesigen Verhältnisse besteht kein Zweifel da-
ran, dass Prof. Külpe131 an der Veröffentlichung beteiligt ist und wahrscheinlich die Einsendung
an den „Fränkischen Kurier“ veranlasst hat ; von Personen, die ihm die Entschließung vermit-
telten, kommen allein in Betracht Wilcken, Förster und von Schanz, wovon ersterer am meisten
verdächtig ist. Chroust betonte, die Veröffentlichung habe ihm sehr geschadet ; Leute, die
ihn bisher unterstützten, besonders aus militärischen Kreisen, wendeten sich nun von ihm
ab, und Kollegen intrigierten gegen ihn. So glaubte er, dass seine Stellung in Würzburg
unhaltbar geworden sei. Doch versuchte er, aus der Situation das Beste zu machen. Um in
Würzburg einen wirklichen Frieden herbeizuführen, empfahl er sich dem Ministerium als
neuen Vorstand des Münchner Reichsarchivs. Wenn möglich, werde er sich um die Stelle
bewerben, da das ein Ausweg sei, der mir einen ehrenvollen Rückzug erlaubt und die hiesigen
Verhältnisse dauernd beruhigt. Daraus wurde jedoch nichts.
Der Sturz Landmanns erwies sich jedoch für Crailsheim als Bumerang. Die Spiegel-
fechterei hinterließ in der Öffentlichkeit, nicht nur beim Zentrum, einen schlechten
Eindruck.132 Als am Tage der Abdankung Landmanns, am 10. August 1902, Kaiser Wil-
helm II. noch die große Taktlosigkeit beging, in der sogenannten „Swinemünder Depe-
sche“ dem Regenten 100.000 Mark zur Anschaffung von Kunstwerken anzubieten, die
von der Deputiertenkammer am 15. Juli 1902 als Maßnahme gegen die Haltung des Mi-
nisteriums im Budget gestrichen worden waren,133 und dabei seine „Empörung“ über die
„schnöde Undankbarkeit“ der ihm ohnehin suspekten Parlamentarier ausdrückte, waren
die Tage Crailsheims gezählt. Es war der neue Kultusminister Podewils-Dürnitz, der ihm
die gleiche Falle stellte, die Crailsheim einst Landmann gelegt hatte : Eigenmächtigkeit
ohne Konsultierung des Ministerrats. Am 17. Februar 1903 nahm Luitpold, anders als
Crailsheim erwartet hatte, dessen Rücktrittsgesuch an ; der neue Minister des kgl. Hauses
und des Äußeren Podewils-Dürnitz verfolgte eine geschickte Politik des Ausgleichs zwi-
schen Zentrum und Liberalen.134
130 Ebd.
131 Über Külpe ließ Chroust immerhin in dem von ihm herausgegebenen Werk : Lebensläufe aus Franken 2 (Würz-
burg 1922) 244ff., einen lobenden Beitrag von Karl Bühler, Külpe, Oswald, Professor der Philosophie 1892–
1915, schreiben, der ihn so charakterisiert : „Eine fast frauenhafte Zartheit des Gemüts harmonisierte in ihm ohne
erkennbaren Kampf oder Sieg mit der nordisch-herben Pflichtauffassung der Kantischen Ethik“ (ebd. 253).
132 Möckl, Prinzregentenzeit (wie Anm. 86) 525.
133 Ebd. 25. Die Kammer der Reichsräte setzte den Betrag wieder in das Budget ein, was die Zentrumsmehrheit
in der Deputiertenkammer erneut ablehnte.
134 Ebd. 527ff. Vgl. (mit weiterer Lit.) Dieter Albrecht, Von der Reichsgründung bis zum Ende des Ersten
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 2
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 678
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien