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Anton Chroust (1864–1945) 125
dessen Ideologie geht aus seinen Schriften jedoch nicht hervor ; sein Alter machte ihn für
die radikaleren Nationalsozialisten uninteressant. Nach seiner Emeritierung versicherte
er sich in Streitigkeiten um seine Vorlesungstätigkeit der Unterstützung des NS-Studen-
tenbundes, indem er versprach, seine Vorlesungen in den Dienst des Regimes zu stellen.
Vor allem aber genoss er das Wohlwollen des NS-Rektors Ernst Seifert, der ihm bis 1941
zu Auslandsreisen zu Forschungszwecken und zu Kuren verhalf157. Die gleichgeschaltete
Presse feierte seinen 70. und 75. Geburtstag. Aus Anlass seines 80. Geburtstags erhielt
er am 27. März 1944 mit Unterstützung des Rektors und des NS-Dozentenbundes die
„vom Führer“ verliehene Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft durch den Reichs-
erziehungsminister Bernhard Rust aufgrund von Gutachten seiner Kollegen Eugen Franz
(Würzburg) und Walter Kienast (Graz)158.
VI.
Am 22. Mai 1945 verstarb Anton Chroust, in Würzburg ausgebombt, als gebrochener
Mann in Theilheim. Er hat sich, obwohl persönlich religiös, bis zu seinem Lebens-
ende als „nicht kirchlich“ bezeichnet159. Sein Schicksal ist das eines Sohnes aus kleinen
Verhältnissen, und noch dazu eines Österreichers, in einer vorwiegend aus dem pro-
testantischen Bürgertum und der höheren Beamtenschaft stammenden und von deren
Mentalität geprägten deutschen Professorenschaft160. Man könnte geneigt sein, bei tie-
fer greifender Analyse der hier geschilderten Vorgänge, die Erkenntnisse moderner grup-
penpsychologischer Forschung über den sozialkognitiven Konsens bei Gruppenbildun-
gen, hier von Professoren, anzuwenden, bei denen soziale, politische und ökonomische
Verhältnisse, emotionale und rationale Kriterien interagieren und die häufig evaluative
Komponenten einschließen : eine hohe Wertkonnotation der eigenen Gruppe („fort-
schrittlich“, „innovativ“, „liberal“) und abfällige Vorstellungen über die Fremdgruppe
(„konservativ“, „methodisch rückständig“, „ultramontan“) und mutatis mutandis um-
157 Vgl. das Obige nach dem Personalakt UAWb, ARS. Über die Vorgänge an der Universität Würzburg nach
1933 vgl. Heiber, Universität (wie Anm. 155) 175ff.
158 Ebd. Zu Kienast vgl. Peter Herde, Walther Kienast (31. Dezember 1896–17. Mai 1985), in : Walther
Kienast, Die fränkische Vasallität. Von den Hausmeiern bis zu Ludwig dem Kind und Karl dem Einfälti-
gen, hg. v. Peter Herde (Frankfurt/M. 1990) XIff. Zu Eugen Franz ausführlich ders., Buchner (wie Anm.
150) 238ff.
159 Bigelmair, Lebensläufe (wie Anm. 10) 107. Dort 98f. über Chrousts schweres Schicksal und Tod 1945.
160 Vgl. Wolfgang Weber, Priester der Klio. Historisch-sozialwissenschaftliche Studien zur Herkunft und Kar-
riere deutscher Historiker und zur Geschichte der Geschichtswissenschaft 1800–1970 (Frankfurt/M. u.a.
1984) 71ff. Das gilt, soweit feststellbar, von der Mehrheit der Kollegen Chrousts in München und Würzburg.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 2
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 678
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien