Seite - 144 - in Österreichische Historiker - Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Bild der Seite - 144 -
Text der Seite - 144 -
144 Klaus Wachtel
Stein und Ehrenberg kamen mit ihrem formal freiwilligen Rückzug den zu erwartenden
und dann auch verwirklichten Repressionsmaßnahmen nur wenige Wochen zuvor. Als
Stein zum 1. März 1939 nach Erreichung der Altersgrenze in den dauernden Ruhestand
versetzt wurde, unterlag er mit dieser Zwangspensionierung einer antijüdischen Bestim-
mung der tschecho-slowakischen Regierung vom Dezember 1938106. Ehrenberg konnte
Stein nicht überzeugen, so wie er Prag und das deutsche Herrschaftsgebiet zu verlassen,
und zwangsläufig hielten die Jahre im Protektorat Böhmen und Mähren für Stein viele
Demütigungen bereit, die er mit erstaunlicher Kraft überwand.
Ein Zeitzeuge schrieb über den bei Kollegen hoch geachteten und bei Studenten belieb-
ten, wenn auch hohe Ansprüche stellenden Hochschullehrer : Stein […] war nicht nur ein
sehr gelehrter Mann, sondern auch ein ausgezeichneter Lehrer. Er verlangte allerdings von den
sieben bis zehn Teilnehmern seiner Seminarübungen auch viel und bemerkte zu Studenten, die
auf eine Frage nicht sofort antworteten, stets : ich hätte denn doch gedacht, dass Sie das wissen
werden107. Dazu passt eine Anekdote, die sich die Prager Studenten Steins erzählten : Stein
habe als junger Assistent an der Wiener Universität einmal Kaiser Franz Joseph I. über die
Ausgrabungen von Carnuntum geführt, und als der Kaiser nach einer Einzelheit fragte,
tadelnd geantwortet : Ich hätte denn doch gedacht, dass Majestät das wissen108. Nach Aus-
kunft tschechischer Kollegen war das Verhältnis des demokratisch und liberal denkenden
Ehrenberg wesentlich besser zu den Kollegen des tschechischen historisch-epigrafischen
Seminars als es der national-konservativ-monarchistische Stein zu den tschechischen Kol-
legen109 pflegte. Zur Illustration seiner Einstellung sei aus dem „Gedenkblatt“ zitiert, das
Stein anlässlich des 1916 erfolgten Todes Kaiser Franz Josephs I. verfasst hat110 :
Kaiser Franz Joseph I. ist nicht mehr ! Fast wie ein Wunder der Natur schien es, daß der
erhabene Herrscher bis nahe an die äußerste Grenze menschlichen Hochalters in ungebrochener
Arbeits- und Schaffenskraft gelangen konnte, nachdem er, der Nestor unter den europäischen
Fürsten, drei Menschengeschlechter an sich vorbeirauschen gesehen, und doch – es war uns allen,
die wir von Jugend auf seine hochragende Erscheinung immer wieder vor uns zu sehen das Glück
106 Siehe Ota Konrád, Dějepisectví, germanistika a slavistika na Německé univerzitě v
Praze 1918–1945 [Ge-
schichtsschreibung, Germanistik und Slavistik an der Deutschen Universität in Prag 1918–1945] (Praha
2011) 201. Ein Exemplar der Emeritierungs-Urkunde befindet sich in den Akten des Unterrichts-Ministeri-
ums im NA.
107 So Erich Fussek, Sie lehrten in Prag (München 1975) 83.
108 Ebd. Dieselbe Anekdote wird auch über Eugen Bormann berichtet, siehe etwa Elise Richter, Summe des
Lebens (Wien 1997) 144f.
109 Jan Burian und Pawel Oliva im Gesprächen mit mir ; vgl. dazu auch Josef Petráň, Nástin dějin filozofické
fakulty Univerzity Karlovy v Praze (do roku 1948) (Praha 1983) 298.
110 Jahresbericht der 1. Deutschen Staatsrealschule 1916/17 3−7 ; vgl. auch Steins Reden als Lehrer zum 60.
Regierungsjubiläum des Kaisers ebd. 1908/09, 54 oder seine Festrede zum Namenstag und Geburtstag des
Kaisers ebd. 1910/11 7−10.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 2
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 678
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien