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174 Hans Aurenhammer
nerkloster in seiner Geburtsstadt musste für ihn diese
transnationale Beziehung nahelegen : Es war durch den
Prager Bischof Johann IV. von Dražice nach dessen Rück-
kehr aus Avignon gegründet worden, einen Teil der Kon-
ventskirche und die Brücke über die Elbe errichtete der
aus Avignon berufene Architekt Maître Jean, und aus
Südfrankreich waren auch die meisten neuen Codices der
Bibliothek importiert worden. „Durch den Welthandel
mit Handschriften werden die Grenzen der provinziellen
Entwicklung vollständig durchbrochen“18 : Raudnitz wird
für den jungen Dvořák zum Symbol einer gesamteuropä-
ischen Kunst des 14. Jahrhunderts, die sich nicht lokal
abschottete, sondern durch überregionale Vernetzungen geprägt war. Der Gegenwarts-
bezug ist offenkundig : Dvořák transzendiert hier die über die nationale Physiognomie
der böhmischen Kunst geführten Debatten zwischen tschechischen Historikern und etwa
einem Deutschnationalen wie Josef Neuwirth, der damals an der deutschen Karl-Ferdi-
nands-Universität in Prag Kunstgeschichte unterrichtete und den vermeintlich wesentlich
deutschen Charakter der böhmischen Kunst unter Karl IV. betonte19. Eine mit Dvořáks
Auffassung vergleichbare, die Zersplitterung der Monarchie in Nationalitäten überwin-
dende Funktion der bildenden Künste erhoffte sich in diesen Jahren der österreichische
Kultusminister Wilhelm Ritter von Hartel auch für die Gegenwart20.
I.2 Von Prag nach Wien : ein Historiker wird Kunsthistoriker
Max Dvořák sollte Nachfolger seines Vaters als fürstlicher Archivar und Bibliothekar wer-
den21. Nach der 1892 am Raudnitzer Gymnasium absolvierten Matura geht er daher nach
Prag, wo er vier Semester an der tschechischen Karl-Ferdinands-Universität Geschichte
bald auf Kritik. Vgl. bereits Eugen Dostál, Čechy a Avignon. Příspěvky ke vzniku českého umění iluminá-
torského v XIV. století, in : Časopis Matice moravské 46 (1922) 1–106. Dazu : Marta Filipová, The Cons-
truction of National Identity in the Historiography of Czech Art (Ph. D., University of Glasgow, 2008) 196
(http ://theses.gla.ac.uk/791/01/2009Filipovaphd.pdf [22. 1. 2010]).
18 Dvořák, Illuminatoren (wie Anm. 16) 76.
19 Josef Neuwirth, Forschungen zur Kunstgeschichte Böhmens 1–3 (Prag 1896). Zu Dvořáks Reaktion auf
Neuwirth siehe Filipová, Historiography (wie Anm. 17) 181–185.
20 Vgl. Carl Schorske, Die Fakultätsbilder von Gustav Klimt und die Krise des liberalen Ich, in : Gustav Klimt.
Der Beethoven-Fries und die Kontroverse um die Freiheit der Kunst, hg. v. Stephan Koja (München 2006)
13–26.
21 Karl Maria Swoboda, Vortrag zum 30. Todestag von Max Dvořák. Gehalten an der Universität Wien, in :
Österreichische Zs. für Kunst und Denkmalpflege 28/3 (1974) 74.
Abb. 11 : Max Dvořák 1897 in Paris
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 2
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 678
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien