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182 Hans Aurenhammer
Künste nur schwer nationale Eigenarten erkennen, es sei das zeitlich Gemeinsame größer als
das national Trennende.70 Schon in seinen frühen Arbeiten zur Kunst des 14. Jahrhunderts
hatte Dvořák ja, wie erwähnt, besonders die überregionalen Beziehungen betont. Wenn
er 1915–17, mitten im Krieg, in dem Aufsatz „Idealismus und Naturalismus in der goti-
schen Malerei und Skulptur“71 mit großer Emphase das von christlichem Universalismus
geprägte mittelalterliche Europa beschreibt, in dem Idee und Realität versöhnt gewesen
seien, so kann man diese rückwärtsgewandte Utopie als Dvořáks persönliches konservati-
ves Gegenbild zur Katastrophe der Gegenwart lesen.
Eine in ihrer Ambivalenz schwer aufzulösende Haltung zeigt Dvořáks Beitrag zu dem
1916 vom Kriegshilfsbüro des k.k. Ministeriums des Innern herausgegebenen „Kriegs-
almanach“72. Auf der einen Seite frappiert die Wahl ausgerechnet von Goyas „Desast-
res de la guerra“ als Thema für dieses „auf den Weihnachtstisch der opferfreudige[n]
Bevölkerung“73 gelegte Buch. Bewusst scheint Dvořák also jeglichen pseudopatriotischen
Ton zu verweigern. Goyas schonungslose Grafiken (die allerdings im Almanach nicht
abgebildet werden74) bedeuten, wie Dvořák ausführt, keine Siege verherrlichende „Kriegs-
apotheosen“, sondern geben „ein Bild des Krieges, wie es schauriger kaum denkbar ist
[…], eine Paraphrase der Erschütterung […], welche die Schatten des Krieges in einer
fühlenden Seele hervorgerufen und mit der sich […] in leidenschaftlichen Protesten heiße
Wünsche nach einer neuen besseren Menschheit verbunden haben.“ 75 Auf der anderen
Seite spricht schon die Mitwirkung bei diesem offiziösen Projekt für Dvořáks Nähe zu
staatlichen Institutionen. Vor allem aber vertritt Dvořák in dem – 1928 von den Her-
ausgebern der „Gesammelten Aufsätze“ bezeichnenderweise unterschlagenen und deshalb
bisher unberücksichtigt gebliebenen – Schlussabschnitt des Textes sehr wohl eine militante
Österreich-Ideologie, die er auf forcierte Weise mit seinen persönlichen Überzeugungen
verbindet. In der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den Mittelmächten und
den europäischen „Peripheriemächten“ sieht er nämlich genau jenen ewigen Gegensatz
70 Max Dvořák, Kunst und Nationalismus (Fragment), IKWA.
71 Max Dvořák, Idealismus und Naturalismus in der gotischen Skulptur und Malerei, in : ders., Kunstge-
schichte als Geistesgeschichte (wie Anm. 2) 41–148 (zuerst in : HZ 23 [1918] 1–62, 185–246).
72 Max Dvořák, Eine illustrierte Kriegschronik vor hundert Jahren oder der Krieg und die Kunst, in : Kriegsal-
manach 1914–1916, hg. v. Karl Kobald (Wien 1916) 40–51. Wieder abgedruckt (ohne die letzten Absätze)
in : Dvořák, Gesammelte Aufsätze (wie Anm. 8) 242–249. Zu dem „Almanach“ vgl. Eberhard Sauer-
mann, Literarische Kriegsfürsorge. Österreichische Dichter und Publizisten im Ersten Weltkrieg (Wien/Köln/
Weimar 2000) 127–131.
73 Kriegsalmanach 1914–1916 (wie Anm. 73), Vorwort des Leiters des Kriegshilfsbüros Eduard Prinz von und zu
Liechtenstein.
74 Der gesamte Almanach ist ausschließlich mit Bildnissen der kaiserlichen Familie und offiziellen Postkarten für
das Rote Kreuz, das Kriegshilfsbüro und das Fürsorgeamt illustriert.
75 Dvořák, Gesammelte Aufsätze (wie Anm. 8) 242, 244, 249.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 2
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 678
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien