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196 Hans Aurenhammer
1920 in einem Vortrag mit dem für ihn charakteristischen Optimismus als den eigent-
lichen Gewinn kunstwissenschaftlicher Arbeit : „Und dann verwandelt sich die Hand-
bücher-Weisheit in wahre und lebendige Seelenbildung, in der auf allen Gebieten des
geistigen Lebens die Brücke zu einer besseren Zukunft der Menschheit zu suchen ist.“149
Dvořáks Neuorientierung wird zunächst in seinen Vorlesungen deutlich. Bereits deren
Titel offenbaren die geänderte Zielsetzung : 1915/16 thematisiert er „Idealismus und Re-
alismus in der Kunst der Neuzeit“, 1916/17 liest er „Über das Verhältnis der Kunst des
17. und 18. Jahrhunderts zu den gleichzeitigen geistigen Strömungen“150. Hier geht es
ihm bei der Analyse künstlerischer Phänomene um Verschiedenheiten in der grundsätzli-
chen Stellung der Menschen zur Kunst und nicht nur zur Kunst, sondern zu allem, was die
Grundlage und den wichtigsten Inhalt des Lebens bedeutet, zu Gott und Natur, zur Moral,
Wissenschaft, Literatur, zu sozialen und politischen Idealen151. Ein letztes Mal, mit neuen
methodischen Koordinaten, behandelt er 1917/18 die mittelalterliche Kunst152. Von
1918/19 bis 1920/21 schließlich beschäftigt ihn die italienische Renaissancekunst in ei-
nem dreisemestrigen Zyklus, der nach seinem Tod veröffentlicht wurde153.
Erstmals außerhalb des Hörsaals bekannt wird der „geistesgeschichtliche“ Dvořák
durch den 1918 in der „Historischen Zeitschrift“ erschienenen Aufsatz „Idealismus und
Naturalismus in der gotischen Skulptur und Malerei“, in dem er zum Thema der frühen
Van-Eyck-Studie von 1904 zurückkehrt, aber nun den wesentlich idealistischen Charakter
der gotischen Kunst betont, ja aus diesem, mit einer für seine späte Denkweise typischen
dialektischen Volte, sogar die naturalistische Antithese hervorgehen lässt154. 1923 wurde
dieser Text in den Sammelband „Kunstgeschichte als Geistesgeschichte“ aufgenommen,
der Dvořáks postumen Ruhm begründen wird. Die hier vereinten späten Aufsätze und
Vorträge sind Vorarbeiten für ein noch von Dvořák geplantes Buchprojekt, das „die wich-
tigsten Wendepunkte der Kunstentwicklung des Abendlandes seit der späten Antike (…)
ihrem Wesen nach“ charakterisieren und auf die allgemeine Geistesgeschichte zurück-
149 Max Dvořák, Kunstbetrachtung. Vortrag, gehalten in Bregenz. Sommer 1920. IKWA.
150 Dvořák, Idealismus und Realismus in der Kunst der Neuzeit 1915/16 (wie Anm. 147) ; ders., Über das
Verhältnis der Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts zu den gleichzeitigen geistigen Strömungen I–II, Vorle-
sung (WS 1916/17, SS 1917). IKWA.
151 Ebd. I 7f.
152 Max Dvořák, Geschichte der abendländischen Kunst im Mittelalter, Vorlesung (WS 1917/18). IKWA. Vgl.
dazu Aurenhammer, Revision (wie Anm. 5).
153 Max Dvořák, Italienische Kunst der Renaissance, Vorlesung (WS 1918/1919) ; ders., Die Kunst der
Hochrenaissance, Vorlesung (WS 1919/1920) ; ders., Die Entwicklung der Barockkunst, Vorlesung (WS
WS 1920/21). IKWA. Alle publiziert in : Max Dvořák, Geschichte der italienischen Kunst im Zeitalter der
Renaissance. Akademische Vorlesungen 1–2 (München 1927, Neuausgabe : Wien 2004).
154 Dvořák, Idealismus und Naturalismus (wie Anm. 71) ; Vgl. dazu v. a. De Marchi, Dvořák (wie Anm. 6).
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 2
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 678
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien