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212 Ulfried Burz
seine Familiengeschichte. Über den gleichnamigen Vater erfährt der Leser zwar, dass die-
ser „hochangesehen und zwanzig Jahre Bürgermeister von Obermühlbach“ war. In wel-
chem Zeitraum der höchste politische Repräsentant die Gemeinde vertrat und welcher
Ideologie er verbunden war, bleibt aber gegenstandslos. Martin Wutte senior, der 1908
verstarb51, dürfte eine ausreichende Steuerleistung erbracht haben, denn diese Bedingung
oder die Erfüllung von bestimmten Bildungs-Kriterien, die Zugehörigkeit zur Aristokra-
tie, zum Klerus, dem Offiziersstand, oder eine Ehrenbürgerschaft oder Mitgliedschaft in
einer politischen Gemeinde waren bis 1907 Voraussetzung dafür, um überhaupt aktiv
oder passiv ein Wahlrecht ausüben zu können. Obwohl der Gasthof des Vaters, laut Aus-
kunft des Sohnes, gut besucht wurde, hatte die zehnköpfige Familie wegen notwendiger
Bauprojekte große Schulden. „1935 ging das väterliche Anwesen in fremde Hände über“,
ein Ereignis, das Wutte „sehr schwer“ traf52.
Die Schilderung des Alltags im väterlichen Gastronomiebetrieb erschließt einen wei-
teren Abschnitt der Sozialisationsgeschichte des Landeshistorikers53. Für Wutte dürfte
der zweimal genannte Schiller ein Vorbild gewesen sein. Der Repräsentant der Weima-
rer Klassik, wie Wutte studierter Historiker, zudem weithin bekannter Schriftsteller, war
Vertreter eines Ideals, das auf Moralität, Neigung zur Pflicht, der Betonung der Freiheit
– was immer das auch sein mag – u.a. immer wieder rekurrierte. Schiller, der in brei-
ten Kreisen, weit über das deutsche Bürgertum hinaus, höchste Anerkennung fand, war
dann der Geografie an der Universität Graz. Tätigkeiten als zweiter Assistent beim Geografen Eduard Richter ;
1901 Erwerb des Doktorats der Philosophie, 1902 der Lehrbefähigung für Geschichte und Geografie, 1904
für den Unterricht in deutscher Sprache im Untergymnasium ; 1902 Heirat mit Ernestine Hoffmann, Lehrerin
in Graz : Dem glücklichen Lebensbund entsprossen vier Mädchen, wovon eines wenige Tage nach der Geburt starb ;
1901 bis 1903 Supplent an der Oberrealschule (Keplerstraße) in Graz ; 1903/1904 Unterrichtstätigkeit an der
Lehrerbildungsanstalt in Marburg ; ab 1904 am Gymnasium (heute Europagymnasium) Klagenfurt ; 1907–
1938 ehrenamtlicher Sekretär des Geschichtsvereines für Kärnten ; 1914–1938 ehrenamtlicher Schriftleiter
der Zeitschrift Carinthia I ; 1919 Sachverständiger für Kärnten in der deutschösterreichischen Delegation
bei den Friedensverhandlungen in Saint-Germain-en-Laye ; Mitglied des Nationalpolitischen Ausschusses der
Kärntner Landesregierung ; Beirat der österreichischen Sektion der Abstimmungskommission und des Kärnt-
ner Heimatdienstes ; 1922 als Gymnasialprofessor Übertritt in den Ruhestand und Ernennung zum Direktor
des Kärntner Landesarchivs. Alle Angaben nach : Wutte, Lebenslauf 1949 (wie Anm. 36) 3–7, hier 3 und 5.
Hervorhebungen nach Vorlage.
51 Tosoni, Wutte (wie Anm. 33) 116.
52 Wutte, Lebenslauf 1949 (wie Anm. 36) 3. Hervorhebungen nach Vorlage.
53 Ebd. 3f.: „Am Stammtisch der ‚Trinkstube‘ wurde nicht nur allabendlich politisiert und über alle möglichen
bäuerlichen Angelegenheiten gesprochen, sondern es kam ab und zu bei gehobener Stimmung zu förmlichen
literarischen Abenden, an denen der nachmalige Schwiegervater meiner Schwester Mitzi, Josef Horn, ein
hochintelligenter Bauer und Sägebesitzer, Gedichte von Schiller, Anastasius Grün, Herwegh u.a. frei aus dem
Gedächtnis deklamierte. Auch mein Vater suchte Sonntag nachmittags gerne ein ruhiges Plätzchen aus, um
Schiller zu lesen.“
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 2
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 678
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien