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Martin Wutte (1876–1948) 225
In der Zeit der beginnenden Modernisierung der Land- und Forstwirtschaft resultierte
daraus im Wirtschaftsleben Kärntens von Anbeginn ein großer Wettbewerbsnachteil für
die slowenische Volksgruppe. Wutte deutet zwar die unterschiedlichen Vermögensverhält-
nisse zwischen der deutsch- und der slowenischsprachigen Agrargesellschaft an, aber eine
systematische Ursachenforschung unterbleibt. Stattdessen bemüht er eine Diktion, die
einem Kulturdarwinismus das Wort schreibt106 und ein gewaltiges Bruchstück der „natio-
nalen Frage“ nur oberflächlich streift. „Diese Ueberlegenheit des deutschen Nachbarn ist
es, die in Kärnten den Fortschritt der deutschen Sprache in alter und neuer Zeit gefördert
hat und die heute noch dem Kärntner Slowenen die Kenntnis der deutschen Sprache so
wertvoll erscheinen lässt, daß er sie auf irgend eine Weise lernen will. Gegenwärtig kommt
die Schule dem Bedürfnis der Slowenen, deutsch zu lernen, nach. Aber nicht immer war
es so. […] Nur die wenigen slowenischen Führer sind gegen die Erlernung der deutschen
Sprache, die große Masse der slowenischen Bevölkerung hat sich wiederholt für dieselbe
ausgesprochen. Im Jahre 1859 z. B. verlangten sämtliche slowenischen Schulgemeinden
die Einführung der deutschen Unterrichtssprache. Bei der Durchführung des Reichsvolks-
schulgesetzes (1869/1871) gab es keine einzige slowenische Gemeinde, welche nicht die
Notwendigkeit der Erlernung der deutschen Sprache anerkannt hätte. Viele verlangten
auch ausdrücklich die deutsche Unterrichtssprache.“107 Denn aus welchem Personenkreis
sich die Vertreter der erwähnten „slowenischen Schulgemeinden“ rekrutierten, wurde von
Wutte nicht hinterfragt. Für eine Geschichtsforschung, die sich lokalpolitischer Fragen
annimmt und sich mit dem Zeitraum 1848 bis 1907 befasst, ist das aber von zentraler
Bedeutung. Denn aufgrund des Zensusprinzips, das nur „Ehren-, Intelligenz- und Steuer-
wählern“ ein aktives und passives Wahlrecht zugestand, blieb das überwiegende Gros der
Bevölkerung von politischen Alltagsentscheidungen bis 1907 ausgeschlossen108. Es wa-
ren Vermögende und andere Privilegierte, zum Großteil Sympathieträger des deutschen
Volkstums oder mit diesem aus wirtschaftlichen oder politischen Überlegungen verbun-
den, die bis zu diesem Jahr Entscheidungen in der Schul- und Sprachenfrage trafen. Die
Jahresbericht aus Österreich 27 (1957/1958) 61–128, zitiert nach Pleterski, Slowenisch oder deutsch ?
(wie Anm. 104) 113.
106 Wutte, Fortschritte des Deutschtums (wie Anm. 101) Sp. 87 : „Damit stimmt auch der Eindruck über-
ein, den man von deutschen und slowenischen Gegenden gewinnt. Dort große, schöne Gehöfte, stockhohe
Häuser, geräumige Wirtschaftsgebäude mit Dutzenden von stattlichen, rassereinen Rindern, wohlgepflegte
Obst- und Gemüsegärten, gut bebaute Aecker, Verwendung moderner Maschinen, hier kleine, ebenerdige
Häuschen, oft mit dem Stall verbunden, in diesen einige wenige unansehnliche Rinder, kleine, wenig frucht-
bare und schlecht gepflegte Felder, starres Festhalten an der althergebrachten Arbeitsform.“
107 Ebd. Sp. 88.
108 Ausführlich zur Situation auf landespolitischer Ebene : Vasilij Melik, Wahlen im alten Österreich am Bei-
spiel der Kronländer mit slowenischsprachiger Bevölkerung (Anton Gindely-Reihe zur Geschichte der Do-
naumonarchie und Mitteleuropas 3, Wien/Köln/Weimar 1997) zu Kärnten 246–256, 318.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 2
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 678
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien