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Martin Wutte (1876–1948) 235
ren, auch nicht zu ihnen gehören wollen und sich daher nur
durch irgend einen Zwang in die slowenische Volksgemein-
schaft eingliedern liessen. Wutte hat ein klares überschauba-
res Ordnungssystem vor Augen. Er fordert einen nationa-
len Kataster für Deutsche und Slowenen, denn : Dadurch
würde das Renegatentum ausgeschaltet, das sind jene charak-
terlosen Konjunktur-Menschen, die je nach Bedarf heute da
und morgen dort ihre Geschäfte machen137. Ungeachtet der
Problematik, die jeder Bekenntniszwang birgt, hat Wutte
eine mögliche Alternative, ein mögliches Bekenntnis zu
Österreich, nicht einmal andeutungsweise angerissen.
Seine Ansichten, wenige Wochen vor dem Anschluss Ös-
terreichs an NS-Deutschland formuliert, sind in diesem
Zusammenhang doppelt bedeutsam.
Dass weitere Reflexionen über den gescholtenen „österreichischen Menschen“ unter-
blieben, ist nicht weiter verwunderlich, gehörte Wutte doch einer Generation an, die mit
dem Terminus „gesamtösterreichisches Denken“ wenig anzufangen wusste. Die Idee vom
Deutschtum als Leitkultur war nicht nur in der Geschichtswissenschaft des Vielvölker-
staates weit verbreitet. Und Wutte bewegte sich zeitlebens in einem deutschnationalen
Milieu, in dem für ein gesamtösterreichisches Denken, das auf eine Gleichberechtigung
aller Volksstämme abzielte, kein Platz war. In der Staatsmetropole Wien hat man spä-
testens 1867 mit dem Staatsgrundgesetz, dessen Prinzipien teilweise in die Verfassung
der Republik Österreich einflossen, ein theoretisches Gerüst geschaffen. Das wurde von
Repräsentanten des deutschnationalen Lagers, das in Kärnten federführend agierte, ab-
gelehnt. Es galt, die politisch und wirtschaftlich dominante Stellung des Deutschtums
weiterhin abzusichern. Das österreichische Wien mit seinem Beamtenapparat und einer
Herrscherdynastie, die zu einem Gutteil die Nationalitäten gleichberechtigt zu behandeln
suchten, geriet nicht zuletzt deshalb zu einem Feindbild, ein Feindbild, das Wutte nicht
nur in seinem Buch „Kärntens Freiheitskampf“ kräftig bedient hat138.
Ein enger Geistesfreund Wuttes und langjähriger politischer Spitzenrepräsentant des
Landes Kärnten begründete 1933, offensichtlich die aktuelle politische Situation vor
Augen, prägnant die Anti-Wien-Haltung ; – die 1943/1985 publizierten Versionen von
„Kärntens Freiheitskampf“ sind ihm gewidmet. Arthur Lemisch beginnt seine Überlegun-
gen mit einem Zitat : ‚Wozu nach den traurigen Ereignissen der letzten Woche … Ersatz für
137 Wutte an Veiter, o. O. 12.02.1938, KLA, NLW Schachtel 2, 202.
138 Vgl. entsprechende Passagen in : Wutte, Freiheitskampf (1943) (wie Anm. 1) 36, 52, 59f., 67, 80, 82ff.,
112, 114, 125, 173ff., 296, 323, 333f., 337, 341, 349, 350, 362, 377, 382, 385, 411.
Abb. 17 : Martin Wutte um 1930
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 2
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 678
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien