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Martin Wutte (1876–1948) 243
Mitverantwortlich dafür könnte auch der neue, von einem spezifischen Geltungsbedürf-
nis charakterisierte Stil der neuen NS-Machthaber in der Öffentlichkeit gewesen sein.
Das nicht selten zur Schau getragene Potentatentum dürfte bei Wutte, wie bei anderen
Zeitgenossen, die der NS-Bewegung vor dem 11. März 1938 nicht nur ablehnend gegen-
überstanden, bereits kurze Zeit nach dem „inneren und äußeren Anschluss“ Österreichs
an das NS-Deutsche Reich einen Umdenkprozess ausgelöst haben. Es ist eine unverdäch-
tige zeitgenössische Quelle, ein Geheimbericht über den Parteiaufbau in der Ostmark, in
der lapidar angemerkt wird : Die meisten dieser Leute haben seit der Schulentlassung bis zu
ihrem heutigen Lebensalter (ca. 20 bis 25 Jahre) kaum irgendeine positive Tätigkeit ausgeübt.
Mit den sog. illegalen Kämpfern hat man durchwegs Schwierigkeiten, da dieselben einerseits
entweder ganz hoch besoldete Posten beanspruchen, die sie auf Grund ihrer Kenntnisse jedoch
nie bekleiden können, während andere trotz ihrer Schulbildung (Doktorgrade) am liebsten
Wachdienste, Ordonnanzdienste oder Postverteilungsdienste machen wollen. Setzt man nun
illegale Kämpfer auf bestimmte Posten, so beginnen sie zu fordern. Die Leistung steht jedoch in
keinem Verhältnis zu ihren Forderungen. Einmal auf einen bestimmten Posten gesetzt, entwi-
ckelt sich bei vielen der Größenwahn.166
Wutte war − nach heutigem Forschungsstand − nicht wie andere prominente Kärnt-
ner, die sich in der „nationalen Frage“ exponiert hatten167, weder Mitglied irgendeiner
illegalen NS-Formation noch ein „Märzveilchen“168 ; seine Frau war seit dem Juni 1938
NSDAP-Mitglied169, Wuttes Beitritt erfolgte im Oktober 1942, was unten näher thema-
tisiert wird.
Es waren in jedem Fall auch gesundheitliche Probleme170, die den Landeshistoriker im
Mai 1938 drängten, die Mitarbeit im großen Sammelbandprojekt „Handwörterbuch des
Grenzland- und Auslanddeutschtums“ (= HWB) aufzukündigen171 : Ich lege daher die Teil-
166 BAK, Sammlung Schumacher 302 I. Unterstreichung wie im Original. Der Bericht datiert mit 03.08.1938.
167 Beispielsweise dazu : Alois Maier-Kaibitsch, führender Funktionär des Kärntner Heimatbundes, der seit
01.01.1934 Mitglied der illegalen NSDAP war. Quelle : BAB, BDC, PA Alois Maier-Kaibitsch ; Josef
Friedrich Perkonig, NSDAP-Mitglied seit dem 01.11.1938, geführt auch in der Dateikarte des National-
sozialistischen Lehrerbundes (NSLB), Mitglied seit 1934. Angaben nach BAK, NS 12/Anhang 63 Kärn-
ten, NSLB-Datei, Buchstabe P.; Hans Steinacher, Eintrittsantrag vor dem Verbot der NSDAP in Österreich
(19.06.1933). Der Antrag wurde aus formalen Gründen – Zuständigkeitsfrage – erst am 01.05.1940 positiv
beschieden. Angaben nach : Alfred Elste, Kärntens braune Elite mit einem Beitrag von Siegfried Pucher
(Klagenfurt/Celovec/Ljubljana/Laibach/Wien/Dunaj 1997) 150–155.
168 Die Bezeichnung von Zeitgenossen für Personen, die unmittelbar nach dem „Anschluss“ der NSDAP beige-
treten sind bzw. beitreten wollten.
169 Eintrag im „Entnazifizierungsakt“ : Erna Wutte, Wies [!] 26.11.75 Haush. = Ehefrau v. Martin Wutte. Mitglied
der NSDAP : 6.38 – 45, rosa Karte 6.160.396. Quelle : KLA, Klagenfurter Stadtarchiv II, 274, 1.
170 Vgl. Anm. 162.
171 Zum HWB siehe Willi Oberkrome, Geschichte, Volk und Theorie. Das „Handwörterbuch des Grenz-
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 2
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 678
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien