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Martin Wutte (1876–1948) 253
Gewalt und nicht mit Gründen der Überzeugung sein Ziel zu erreichen sucht, war mir stets
verhaßt. Das war einer der Hauptgründe, warum ich den Nationalsozialismus von Anfang
an ablehnte, wiewohl ich einzelne seiner Ziele mit Begeisterung aufnahm. Ich habe mich auch
bis 1942 geweigert, Pg. [Parteigenosse, Anm. Burz] zu werden. Und Wutte konstatiert,
dass er einer Bitte des Gauleiters entsprechen wollte, weil dieser mitteilen ließ, dass er
[Wutte] in die Partei ‚berufen‘ werde. Um Rainer, den ehemaligen Schüler, anlässlich der
Abstimmungsfeier, in deren Rahmen Wutte der erste Kärntner Wissenschaftspreis verlie-
hen werden sollte, nicht in eine peinliche Lage zu versetzen, sagte er den Beitritt zur Partei
nach einigem Zögern zu, doch nur unter der Bedingung, daß ich gewisse Überzeugungen, die
ich mir im Verlaufe meines Lebens erworben habe, vorbehalte(n) und gewisse Grundsätze des
Nationalsozialismus, wie den der Totalität, die dem Menschen die Glaubens- und Gewissens-
freiheit, der Wissenschaft die Freiheit der Lehre nehme, ablehnen dürfe. Es war eine gewisse
Schwäche von mir, aber wer hätte unter den gegebenen Umständen anders gehandelt ? Ich
habe auch später immer wieder meine eigene Meinung vertreten, auch vor Rainer, so z. B. den
Grundsatz, daß die Wissenschaft der Politik vorausgehen müsse und nicht umgekehrt. Das mag
auch der Grund gewesen sein, daß ich wohl mitarbeiten durfte, aber von den neugeschaffenen
wissenschaftlichen Institutionen ausgeschaltet wurde und nicht einmal zu den Beratungen über
deren Einrichtung beigezogen wurde211.
Über den Stellenwert der apostrophierten freien Wissenschaft in der und für die zeit-
genössische Gesellschaft hat Wutte im Frühjahr 1939 offensichtlich keine Reflexionen
angestellt, als er um die Aufnahme in den Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte ange-
sucht hat. In den Satzungen des Reichbundes, der sich als Vertreter „der Gesamtheit der
Vereine und Gesellschaften für Vorgeschichte im Reichsgebiet“ definierte, ist von der Frei-
heit der Wissenschaft keine Rede mehr : „Seine [= Reichsbund, Anm. Burz] Aufgabe ist,
auf der Grundlage der nationalsozialistischen Weltanschauung eine arbeitsfähige Front
aller Freunde deutscher Vorgeschichte herzustellen, die Kulturgüter der deutschen Vor-
zeit zu erforschen, zu schützen und zu pflegen und die gewonnenen wissenschaftlichen
Erkenntnisse in lebendiger Form an weiteste Kreise des deutschen Volkes weiterzugeben.
[…] Er erstrebt dabei engste Zusammenarbeit mit den Denkmalämtern und Museen, mit
den Nachbarwissenschaften und im besonderen mit den Schulungsorganisationen der
NSDAP und des Staates.“212 Wuttes Anliegen wurde kurze Zeit später positiv erledigt213.
211 Neumann, Urteil (wie Anm. 22) 22.
212 Die Satzungen sind im NLW, in der Schachtel 1 aufbewahrt, wie die Mitgliedskarte Nr. 1329 für Herrn Lan-
desarchivdirektor Dr. Martin Wutte. Das Eintrittsdatum ist vordatiert : Eingetreten 1.1.1939, [Ausgestellt] :
Berlin 25.3.1939. Geklebt sind zwei Marken für zwei Halbjahrsbeiträge (1939) ; weitere Beitragsmarken sind
im Mitgliedsbuch zum einen nicht vorhanden, zum anderen wurden – deutlich erkennbar – Seiten aus die-
sem Mitgliedsbuch abgetrennt.
213 Schreiben der Reichsleitung des Reichsbundes für Deutsche Vorgeschichte an Wutte, Berlin, 07.03.1939,
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 2
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 678
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien