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Heinrich (Ritter von) Srbik (1878–1951) 275
die österreichische Revolution von 1848. Er basierte auf zwei Vorträgen, „die der Verfas-
ser im Dezember 1918 an Sprechabenden der deutschen Studentenschaft beider Grazer
Hochschulen gehalten“ hatte76. Der Verfasser scheint am ehesten den Sozialdemokraten
nahezustehen ; er beurteilt die Große Französische Revolution von 1789 und die öster-
reichische Revolution von 1848 viel positiver, als dies ein Konservativer von damals hätte
tun können, und gibt sich am Schluss auch recht wenig liberal-bürgerlich, bezeichnet er
es hier doch als „Ruhmestitel eines Teils der Wiener Studentenschaft, daß sie die Notwen-
digkeit erkannten [sic], den Wohlfahrtsstaat und den sozialen Rechtsstaat auch für die
Arbeiter zu schaffen, zu einer Zeit, da Dynastie, Kirche und Adel und zum großen Teil
auch das Bürgertum im Proletariate nur Pöbel sahen. Eine Fülle bedeutsamer sozialpoli-
tischer Anregungen ist während der Revolution in Österreich entstanden […] ; Gedanken
der Sozialreform, denen wie dem demokratischen Prinzip des allgemeinen Wahlrechts die
Zukunft gehörte, und an denen die Studentenschaft lebendigen Anteil hatte. Nach 70
Jahren, unter dem Eindrucke der weit gewaltigeren Umwälzungen der Gegenwart, erken-
nen wir heute mit voller Klarheit, welcher starke Wegbereiter der politischen und sozialen
Gestaltung der deutschen Volksgeschicke die Revolution des Jahres 1848 gewesen ist“77.
„Die politischen Ideen“, die die Revolutionsführer vertraten, waren für Srbik damals „im
Kerne alle lebensfähig, und kein Geringerer als Erzherzog Johann hat […] die gedenkens-
werte Äußerung getan, die heute wie eine Prophezeiung klingen mag : ‚Es scheint schon
in den Sternen bestimmt zu sein, daß die Menschheit einmal in der Republik ihr Heil
finden wird […]‘“78. Das Ancien Régime des Hauses Habsburg wird durchwegs in dunk-
len Farben gemalt, nur Metternich bringt Srbik schon damals offenkundige Sympathie
entgegen79 ; und während über die slawischen Völker nur böse Worte fallen, äußert sich
Srbik über jüdische Belange so gemäßigt wie später nicht mehr. Ganz sachlich schreibt
er : „Besonders gedrückt war die materielle Existenz der meisten jüdischen Hörer ; da
ihnen fast alle bürgerlichen Berufe verschlossen waren, wandten sich die vielen, die aus
Böhmen und Ungarn nach Wien zogen, mit Vorliebe dem ärztlichen Berufe zu. Noch war
die österreichische Judenschaft vorwiegend deutschgesinnt, und ihre studierende Jugend
76 Heinrich Ritter von Srbik, Die Wiener Revolution des Jahres 1848 in sozialgeschichtlicher Beleuchtung, in :
Schmollers Jb. für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reiche 43, 3. Heft (1919)
19–58 = 829–868.
77 Ebd. 58 = 868.
78 Ebd. 57 = 867.
79 Ebd. 29 = 839 : „Innerlich verwachsen mit der Aufklärung […], ein logischer Egoist, wie ihn sein Leibarzt Dr.
Jäger nannte, voll Geist und Selbstgefälligkeit, war Metternich ein viel zu feiner Kopf, um nicht zu erkennen,
daß Unbeweglichkeit staatsverderbend wirke, aber er war zu alt und ruhebedürftig geworden, er hatte nicht
mehr die Kraft und Elastizität, das System zu ändern.“ Für dieses vergleichsweise freundliche Urteil mochten
vielleicht mündliche Äußerungen seiner Lehrer Guglia und August Fournier die Basis gelegt haben.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 2
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 678
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien