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Heinrich (Ritter von) Srbik (1878–1951) 287
deutschen“ Konzepts unweigerlich zu einem Krieg des um „Deutschösterreich“ erweiter-
ten Deutschen Reiches schlussendlich mit nahezu allen anderen Staaten Europas führen
musste144 ; das ist keine vaticinatio ex eventu besserwisserischer Nachgeborener, sondern ist
so durchaus auch von Srbiks Zeitgenossen empfunden worden, so etwa vom den Natio-
nalsozialisten selbst nur allzu nahestehenden Erich Brandenburg. Dieser machte es Srbik
– was höchsten Respekt gebietet – noch im Jahr 1936 zum Vorwurf, dass er sich nicht zu
einer „restlosen Anerkennung des Strebens der Ungarn und Tschechen, ja sogar der Itali-
ener, nach einem nationalen Staat entschließen könne“, und sah klar, dass Srbik „in eine
gefühlsmäßig begründete, aber mit den Realitäten des Lebens in unversöhnlichem Wi-
derspruch stehende Ideologie geraten sei“145, worauf der unbelehrbare Srbik Brandenburg
emotionsgeladen beschuldigte, „auf die Millionen Deutscher“ zu vergessen, „die als Volks-
gruppen und Volkssplitter verzahnt und verklammert mit Fremdnationalen lebten und
leben müssen, – auf die Millionen im Sudetenraum, auf die Außenglieder und Vorposten
kostbaren Bluts in Ungarn, Rumänien, in Bessarabien und an der Wolga, in den baltischen
Ländern, in Südslawien und Südtirol“ ; ebendort, so perorierte er, sei angesichts dieses
„kostbaren“ deutschen Blutes „die nationalstaatliche Lebensform eine Unmöglichkeit“146.
144 Es ehrt die Zunft der deutschsprachigen Historiker allgemein, dass Srbik für seine „gesamtdeutsche Ge-
schichtsauffassung“ zumindest vor der gewaltsamen Errichtung des „Protektorates Böhmen und Mähren“
kaum Zulauf erhielt ; Henry Cord Meyer, Mitteleuropa in German Thought and Action 1815–1945 (In-
ternational Scholars Forum 4, The Hague 1955) 300–307 erwähnt an Historikern mit ähnlichen öffentlich
geäußerten Ansichten aus Deutschland nur Wilhelm Schüssler/Schüßler und Martin Spahn ; an Österrei-
chern Harold Steinacker und weiters Heinrich Kretschmayr sowie den mit Srbik verfeindeten Kaindl ; im
Wesentlichen dieselben Historikernamen nennt Jacques Droz, L’Europe centrale. Évolution historique de
l’idée de „Mitteleuropa“ (Paris 1960) 258–261. Wie wir jetzt wissen, findet sich allerdings just auch im nicht
zur Publikation gelangten „fünften Band“ der „Deutschen Geschichte im neunzehnten Jahrhundert“ des
als katholischer NS-Gegner geltenden Franz Schnabel die „Kombination einer auf das deutsche Volkstum
gegründeten, ‚gesamtdeutschen‘ Staatsauffassung mit der föderalistischen, auf Ostmitteleuropa gerichteten
Reichsidee, einer positiven Wertung der Habsburgermonarchie und einem kulturnational begründeten Pri-
mat des ‚Deutschtums‘“ und eine Argumentation, die darauf hinausläuft, „den slawischen Völkern Osteu-
ropas das Recht auf den souveränen Nationalstaat abzusprechen“ ; die „Verdrängung der Slawen“ wird sogar
als „große Tat des Deutschtums im Mittelalter“ bezeichnet, und dies alles liest man im Übrigen gleich neben
antisemitischen Anspielungen, vgl. Thomas Hertfelder, Franz Schnabel und die deutsche Geschichts-
wissenschaft. Geschichtsschreibung zwischen Historismus und Kulturkritik (1910–1945). Zweiter Teilband
(Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 60, Göttin-
gen 1998) 712–721. Für analoge Tendenzen in der deutschen Publizistik vgl. Droz, 256f., und Hecker,
„Die Tat“ (wie Anm. 134) 155–178.
145 Vgl. Friedrich, Brandenburg (wie Anm. 143) 111–122, 202–218. Brandenburg stand schon ursprünglich
nicht links, war aber prinzipiell ein Liberaler und kein Konservativer.
146 Heinrich Ritter von Srbik, Zur gesamtdeutschen Geschichtsauffassung. Ein Versuch und sein Schicksal, in :
HZ 156 (1937) 229–262, hier 232–234. Bemerkenswerterweise ist bei Srbik nie von einem „kostbaren“ Blut
der Deutschschweizer die Rede – dass diese partout nicht einem gesamt- oder großdeutschen staatlichen oder
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 2
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 678
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien