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290 Martina Pesditschek
„Tun“ erwachsen könnten, zitierte der außenpolitische Experte Schüßler bloß ein Wort des
älteren Helmuth von Moltke : „Im Kriege ist alles gefährlich“153, das heißt, für ihn befand
sich Deutschland zumindest schon in einem „kalten Krieg“, gegen dessen Umwandlung in
einen heißen er offenbar gar nichts einzuwenden hatte. Für Österreich bedeutete eine Ver-
wirklichung des „gesamtdeutschen“ Konzepts seit Ende Januar 1933 die Vereinigung mit
einem nationalsozialistischen Deutschland ; demgemäß hätte ein österreichischer Konserva-
tiver, der über die Umstände der nationalsozialistischen Herrschaft im „Reich“ so gut infor-
miert war, wie dies Srbik angesichts seiner ständigen Kontakte und Aufenthalte ebendort
tatsächlich gewesen sein muss, die Propagierung eines solchen Konzepts bald sistiert und
sich eher der legitimistischen Position angenähert – dies haben ja schließlich auch eher links
stehende Intellektuelle wie Joseph Roth, Leo Perutz oder Ernst Karl Winter getan. Srbik
aber gab seine Absicht auf, der Monografie über Metternich eine solche über Kaiser Franz
Joseph folgen zu lassen – er wollte jetzt eben gerade die Legitimisten nicht legitimieren154
–, und intensivierte noch seine Propaganda zugunsten der „gesamtdeutschen Geschichts-
auffassung“ ; insbesondere erschienen 1935 – wiederum bei F. Bruckmann verlegt – zwei
umfängliche Bände „Deutsche Einheit“155. Dieses Werk ist von Srbik unzweifelhaft als Plä-
doyer zugunsten eines baldigen „Anschlusses“ intendiert gewesen156 und ist in Österreich
153 Ebd. 60.
154 Vgl. Taras v. Borodajkewycz, Rezension von : Srbik, H. v.: Aus Österreichs Vergangenheit, in : Wiener
Geschichtsblätter 9 (69), 3 (1954) 69f. („die Ungunst der Zeitverhältnisse ließ ihn diesem Plan entsagen“).
Srbik hatte dem Monarchen 1931 einen sehr respektvollen Aufsatz gewidmet : Franz Joseph I., Charakter und
Regierungsgrundsätze, in : HZ 144 (1931) 509–526. Srbiks Lob für den Kaiser hat allerdings einen falschen
Zungenschlag – er funktioniert ihn gleichsam zum Ahnherren seiner „gesamtdeutschen Geschichtsauffassung“
um. Den letzten Kaiser aus dem Haus Habsburg hat Srbik andererseits überhaupt nicht geschätzt, siehe Ale-
xander Spitzmüller, „… und hat auch Ursach, es zu lieben.“ (Wien/München/Stuttgart/Zürich 1955) 283.
155 Srbik konnte sich hierbei auf die von ihm selbst herausgegebene fünfteilige Quellenedition „Quellen zur deut-
schen Politik Österreichs“ (Oldenburg 1934–1938) stützen. Die beiden ersten Bände der „Deutschen Einheit“
sind bei den Nationalsozialisten im „Reich“ zum Teil mit gemischten Gefühlen aufgenommen worden, Eber-
hard Achterberg, Gesamtdeutsche Geschichtsbetrachtung, in : Nationalsozialistische Monatshefte 7,79 (Ok-
tober 1936) 927–929, hier 928f. merkte kritisch an : „Im beginnenden Zeitalter des völkischen Bewusstseins kann
keine übernationale Idee mehr Völker verschiedenen Blutes vereinen und die gemeinsame Grundlage ist nicht die
‚Kulturnation‘, der man ‚beitreten‘ kann, sondern das ‚Volk‘, in das man ‚hineingeboren‘ wird“, um dann doch
versöhnlich zu enden : „In diesem Bekenntnis zum Volk vereinigen wir uns mit Srbik und allen, die an der Auf-
gabe einer gesamtdeutschen Geschichtsbetrachtung mitarbeiten wollen, und bei dieser Arbeit wird das Volk als
Inbegriff aller Kräfte des Blutes und des Bodens die große Leitidee sein.“ Zur „völkischen“ Argumentationsweise
Srbiks selbst vgl. S. 306f.
156 Vgl. Heinrich von Srbik, Großdeutsche und kleindeutsche Geschichtsauffassung, in : Deutsche Arbeit 34,
Heft 8 (August 1934) 385–389, hier 389 : „Deutsche Geschichte als fortlebende Gegenwart und Zukunft,
über aller Liebe zu den Teilen die tiefe Liebe zum Ganzen, zur uns beseelenden gesamtdeutschen Idee –
stärken wir dieses Glaubensbekenntnis in uns, dann wird die Arbeit der deutschen Historiker [also Srbiks]
dereinst vielleicht als Vorbote einer neuen Zeit in der Geschichte unseres Volkes genannt werden.“
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 2
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 678
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien