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Heinrich (Ritter von) Srbik (1878–1951) 301
lebt in uns, und ihr mit ganzer Seele zu dienen, ist unsere heilige Pflicht.“204 Als der „Füh-
rer“ bzw. das „deutsche Volk“ einen Teil dieser „Aufgabe“ ein Jahr später wirklich „gelöst“
hatten, feierte Srbik die Annexion Böhmens und Mährens nicht nur auf die damals ge-
meinhin übliche Weise205, er sprach nunmehr den Tschechen auch so eindeutig wie nie
zuvor die Fähigkeit zur Staatsbildung ab : „Das Nationalitätenrecht der Monarchie war
diesseits der Leitha eine höchst bedeutsame Leistung, aber das tschechische Volk beugte
sich so wenig den realen Notwendigkeiten, wie es dies als Herr eines national gemisch-
ten Staates verstanden hat. Die eigenen staatsbildenden und staatserhaltenden Kräfte der
intellektuell und wirtschaftlich sehr begabten Nation reichten offensichtlich niemals aus.
Immer bedurfte sie einer deutschen Hand der Kraft und der Gerechtigkeit
zu ihrem eigenen Wohl.“206
Im 1942 erschienenen vierten Band der „Deutschen Einheit“ sind keineswegs nur die
berüchtigten zwei letzten Seiten obszön, die Hitlers Kriegspolitik und deren Resultate
feiern und die Näf so gerne ungeschrieben geblieben gehabt hätte207, sondern beleidigen
auch andere Passagen in elementarer Weise Verstand und Geschmack. „Die Stunde“ des
Zweiten, von Bismarck begründeten Reiches „schlug“ für Srbik „vor allem deshalb, weil
es schließlich Weltpolitik großen Stils ohne das Fundament des einheitlichen deutschen
Volksgedankens trieb. Im zweiten Reich traten Volk und Staat, Geist und Staat ausein-
ander. Es fehlte […] das beseelende und beflügelnde realgeistige Dasein. Nur ein Beweis
sei angeführt. […] In der weit überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes […] ver-
engte sich in diesem zweiten Reich der Volksbegriff so sehr auf den Bundesstaat, daß irrig
von der Vollendung der deutschen Einheit gesprochen und daß irrig ,Deutschland‘ mit
,Deutsches Reich‘ gleichgesetzt wurde, als ob nicht Millionen gleichwertiger deutscher
Volksgenossen auf uraltem deutschen Volks- und Kulturboden außerhalb des Reiches leb-
ten und für das Gesamtvolk arbeiteten, kämpften und litten. Der Deutsche Österreichs
wurde oft als ,Österreicher‘, der Deutsche Rußlands als ,Russe‘208 vom ,Deutschen‘, dem
Angehörigen des Reiches, abgehoben […], das neue Reich vergaß der deutschen Sendung
Österreichs und der anderen ,Auslanddeutschen‘. […] Den deutschen Österreichern blieb
204 Ebd. 42. Dass „Lösungen“ nach Art der vorgeschlagenen ins Verderben führen müssen, ist jedenfalls Ritter
zur selben Zeit schon klar gewesen ; vgl. Gerhard Ritter, Großdeutsch und kleindeutsch im 19. Jahrhun-
dert, in : Schicksalswege deutscher Vergangenheit. Beiträge zur geschichtlichen Deutung der letzten hundert-
fünfzig Jahre. FS für Siegfried A. Kaehler, hg. v. Walther Hubatsch (Düsseldorf 1950) 177–201, hier 200f.
205 „Die Standarte des Führers ward auf der Burg in Prag aufgezogen, Ereignisse von unfaßbarer Größe füllten
diese Tage“ ; Heinrich Ritter von Srbik, Deutsche Führung – der Segen des böhmischen Raumes, in : Sude-
tendeutsche Monatshefte (Mai 1939) 225–228, hier 228.
206 Ebd. 227f. Der letzte der zitierten Sätze ist auch im Original gesperrt gedruckt.
207 Vgl. Derndarsky, Historie (Bibl.) 162f.
208 Vermutlich eine subtile Rechtfertigung des Überfalls auf die Sowjetunion.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 2
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 678
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien