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308 Martina Pesditschek
seine nunmehrige Unzufriedenheit mit dem Nationalsozialismus gegenüber dem alten
Freund Glaise von Horstenau schließlich wie folgt auf den Punkt : Vor dem 13. März 1938
war man der gefeierte Historiker, seither ist man nur mehr ein vergreister Trottel238.
Nun ist natürlich grundsätzlich denkbar, dass der genuine Nationalsozialist Srbik ange-
sichts solcher persönlicher Frustrationen bisweilen nicht nur die Faust in der Tasche geballt
hat – als eben eine solche Ohnmachtshandlung und nicht mehr ist doch wohl sein spora-
disches Geschimpfe auf die Preußen und sein gelegentlicher Lobpreis der k.
u. k. Vergan-
genheit zu werten –, sondern auch stärker wider den Stachel gelöckt hat. Dergleichen hat
augenscheinlich sein Schüler Borodajkewycz getan, der in den 1960er-Jahren traurige ös-
terreichweite Bekanntheit durch den Umstand erlangte, dass er seine Vorlesungen damals
noch immer mit antisemitischen Bemerkungen „würzte“, und seither sicherlich zu Recht
als typisches Beispiel für einen alten unbelehrbaren Nazi gilt. Borodajkewycz war schon in
jungen Jahren illegal in die Partei eingetreten239, aber er nahm Demütigungen von deren
Seite nicht immer treu ergeben hin : „Als er […] einen gewünschten Bezugsschein nicht
oder nicht gleich erhielt – was 1943 selbst für prominentere Nationalsozialisten schwierig
war – ließ er sich aus persönlicher Verärgerung darüber zu abfälligen Bemerkungen über
die Spinnstoffsammlung hinreißen, und äußerte schließlich sogar Zweifel am Endsieg“,
und der deshalb am 7. Juli 1943 erfolgte Ausschluss aus der NSDAP wurde auf seine um-
gehende Remonstration hin drei Monate später tatsächlich annulliert und in einen Ver-
weis umgewandelt240. Allerdings mag Borodajkewycz überhaupt eine aufmüpfigere Natur
als sein verehrter akademischer Lehrer gewesen sein.
Srbiks Nachfolger Hantsch dürften vergleichbare Äußerungen seines Vorgängers jeden-
falls eher nicht bekannt gewesen sein241, und abwegig scheint die verbreitete, gar nicht
einmal nur auf die üblichen Apologeten beschränkte Auffassung242, dass Srbik durch die
erleiden würde. Srbik quittierte die Absage in besagtem Brief mit dem Bemerken, dass gerade dieses Blatt we-
nig meinen Beifall findet. Jedoch war er immer und gerade erst zuvor zu einer Veröffentlichung darin bereit
gewesen. Nach dem Krieg erschien dann von Srbik übrigens ein Aufsatz mit einem ganz ähnlichen Titel –
„Geschichtswissenschaft und Gegenwartspolitik“ – in : Universitas 4 (1949) 647–650.
238 General im Zwielicht 3 (wie Anm. 15) 484.
239 Gerard Eric Kasemir, Die Borodajkewycz-Affäre 1965. Spätes Ende für „wissenschaftlich“ vorgetragenen
Rassismus (unpubl. Dipl. Wien 1994) 16.
240 Ebd. 23f.
241 Hantsch, Srbik (1951) (Bibl.) 132 : „Mag sein, daß er diesen Widerspruch nicht so klar und kräftig zu äu-
ßern wagte, wie es geboten gewesen wäre […].“ – Zu Hantsch siehe den Beitrag von Johannes Holeschofsky
in diesem Band.
242 Vgl. Fritz Fellner, Geschichtsstudium in Kriegs- und Nachkriegsjahren, in : Erinnerungsstücke. Wege in
die Vergangenheit. Rudolf Vierhaus zum 75. Geburtstag gewidmet, hg. v. Hartmut Lehmann, Otto Ger-
hard Oexle (Wien/Köln/Weimar 1997) 49–77, hier 55, 61 ; Fellner, Srbik (2002) (Bibl.) 339f. (wo aus-
drücklich betont wird, dass es „nur wenige Dokumente, die derart deutliche Kritik an Hitlers Kriegspolitik
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 2
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 678
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien