Seite - 321 - in Österreichische Historiker - Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Bild der Seite - 321 -
Text der Seite - 321 -
Heinrich (Ritter von) Srbik (1878–1951) 321
der den Schluss nahelegt294, dass es sich bei seinen idealistischen Rhetorik-Schwaden um
einen doch ziemlich bewussten groß angelegten Vernebelungsversuch handelt, durch den
verborgen werden sollte, dass es in seinen politisch relevanten Schriften eigentlich nur um
die Verherrlichung295 und Rechtfertigung nackter deutscher Machtausübung geht. So gilt
demgemäß schlussendlich wohl für Srbik selbst dessen eigenes abschließendes Urteil über
den Proto-Nazi Heinrich von Treitschke, dieser habe „selbst einen Ausdruck des Verlan-
gens eines machtlosen und zerteilten Volkes nach Einheit und nach Macht“ dargestellt296.
Auch die frömmelnden Aussagen seiner letzten Jahre, in denen er Klio offenbar nur
mehr die Rolle einer Ancilla theologiae zudachte297, beruhen dann vielleicht nur auf op-
portunistischer Anbiederung an die katholische Restauration. Tatsächlich hat Srbik auch
als Mensch ein Maskenspiel betrieben – als weich, mimosenhaft, integer, versöhnlich,
idealistisch und weltfremd beschreiben ihn in der Regel seine Zeitgenossen, sodass man
ihm schon die Geschäftsfähigkeit absprechen möchte ; doch ist just die zuallermeist so
und nicht anders beschriebene Persönlichkeit binnen weniger Jahre vom Bibliothekar zu
einem „Mandarin“ der österreichischen und deutschen Geschichtswissenschaft und dann
zu einem Minister und Akademiepräsidenten aufgestiegen, und ebendiese Persönlichkeit
hat keinen Anlass für eine polemische Auseinandersetzung gemieden und etwa seine Kon-
troverse mit Bibl so weit getrieben, dass der Kontrahent de facto aus dem Kreis der Wis-
senschaft und der Wissenschaftler ausgestoßen wurde.
1949 gab es für Srbik, der jedes Eingeständnis einer eigenen Schuld von sich wies298
und auch keinerlei Verständnis für eine kritischere Sicht seines Verhaltens vor 1945 bei
294 Da kein aufrichtiger Idealist gleichzeitig auch Realist sein kann, ein überzeugter Realist aber aus opportunis-
tischen Gründen eine idealistische Gesinnung verbal vortäuschen mag.
295 Vgl. etwa seine Formulierung „Radetzkys herrliche Armee und ihr vom Heer vergötterter großer Führer“ ;
Srbik, Metternich 2 (wie Anm. 4) 314.
296 Srbik, Geist 1 (wie Anm. 14) 398 ; Srbik hat dieses Urteil offenkundig als Kompliment gemeint, hat er
Treitschke doch auch als „großen Charakter“ gewürdigt (394), ihn „grandios […] als Mensch“ bezeichnet
(397) und an ihm „Menschheitssinn und Verantwortungsbewußtsein“ gerühmt (398).
297 Vgl. Srbik, Geist 2 (wie Anm. 14) 378 : „Unsere Hoffnung auf geistig-seelische Genesung kann nur in einer
Rückkehr zum ‚Ewigen im Menschen‘ durch Wiederherstellung des Verhältnisses des Menschen zur höheren
Seinsform im Bewußtsein seiner Kreatürlichkeit, seiner Ebenbildschaft Gottes und einer Weltordnung durch
Erkenntnis in tiefstem Leid und unermeßlicher Katastrophe des enthumanisierten Kosmos erwachsen“ ; 380 :
„Wir können und wollen nicht schlechthin zur Goethe- und Rankezeit zurückkehren, aber diese leuchtenden
Gestirne vermögen uns zu sagen, daß es […] eine Ehrfurcht vor dem Göttlichen im Menschentum gibt und
geben muß ; daß alles Leben Kampf auch des Ewigen um sein gedankliches und sittliches Fortbestehen in uns
ist und daß aus dem Tod neues Leben nicht nur im Sinn des Sterbens und Geborenwerdens aller Natur wird,
sondern daß auch die höchsten Idealwerte im Neuen fortleben“ ; vgl. auch ders., Zukunftswege (wie Anm.
269) 140.
298 Vgl. etwa den folgenden Schlussparagrafen seines Rechtfertigungsschreibens vom 03.09.1945 : Ich bitte das
Staatsamt nicht um Gnade, sondern um Gerechtigkeit, da ich mich reinen Gewissens weiß und reine Hände habe.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Österreichische Historiker
- Untertitel
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Band
- 2
- Autor
- Karel Hruza
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 678
- Schlagwörter
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Kategorie
- Biographien