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Einleitung
thematische Fokus auf Opfernarrative im Kontext von Holocaust und National-
sozialismus aus der postmemorialen Perspektive der âNachgebo
renenâ (Hirsch
2012; Landsberg 2004; Young 2000). Sie verbindet auch die Tatsache, dass das
Augenmerk auf die grundlegende Problematik der Darstellung des Opfers â sei
es in Form des âbloĂenâ sprachlichen Benennens, sei es in Form des institutio-
nalisierten Ausstellens â gelenkt wird. Gerade wenn es um ReprĂ€sentation (und
transgenerationale Weitergabe) traumatischer Erinnerungen geht, spielen Leer-
stellen und Auslassungen, Ungesagtes sowie Unsagbares eine tragende Rolle.
Aleida Assmann hat in Bezug auf das âunmittelbareâ TĂ€ter- und OpfergedĂ€cht-
nis im Kontext des Holocaust die Bedeutung des Schweigens herausgestellt und
neben dem âsymptomatische[n] Schweigenâ (2013b, 57) auf Seiten der (Holo-
caust-)Opfer das âkomplizitĂ€re Schweigenâ auf Seiten des die Leiden nicht aner-
kennenden Umfelds sowie das âdefensive [âŠ] Schweigen des TĂ€tersâ (2013b, 57
[Hervorhebung im Original]) namhaft gemacht.
Die Nachfolgegenerationen setzen sich â hĂ€ufig in Generationen- und Fami-
lienromanen sowie in Graphic Novels, die Elemente dieser narrativen Subgattung
aufgreifen (Heidemann) â kritisch mit den vielfĂ€ltigen Formen dieses Schweigens
auseinander, eines Schweigens, das als zutiefst doppel
gesichtige âRessource fĂŒr
die Konstruktion und den Schutz persönlicher IdentitĂ€tâ (Assmann 2013b, 57)
gelten kann. Diese ambivalente Wirkmacht des Schweigens zeigt sich nicht nur
in der Literatur, sondern gerade auch im Rahmen institutionalisierter, musea-
ler Erinnerungspraxis, wo das Ausge stellte immer auch auf seinen Widerpart,
das Be- und Verschwiegene, verweist. In postsozialistischen Kontexten orien-
tiert sich die Darstellung bzw. âAusstellungâ von Opfern des Holocaust hĂ€ufig an
unausgesprochenen politisch-strategischen Zielsetzungen und verweist gleich-
falls auf bewusstes Verschweigen von âunpassendenâ, âstörendenâ Opfergruppen
(beispielsweise von ethnischen Minderheiten). Solche âkalkulierendeâ Ausblen-
dungen unter stĂŒtzen nicht nur das jeweils dominante Geschichts- und GedĂ€cht-
nisnarrativ eines Kollektivs, sondern verdeutlichen unter UmstÀnden auch die
VerdrÀngung eigener Mitverantwortung.
Wie die beiden literaturwissenschaftlichen BeitrÀge dieses Abschnitts zeigen,
kann gerade die Literatur derartige Ausblendungen sichtbar machen und so homo-
gene, widerspruchsfreie und zur Sicherung individueller wie kollektiver IdentitÀt
einsetzbare Opfernarrative destabilisieren. In den analysierten Texten werden
insbesondere die LĂŒcken, Leerstellen und Latenzen, die im Kontext der transge-
nerationalen Weitergabe von Traumata entstehen oder die durch die VerdrÀngung
âunbequemerâ Geschichten aus dem âKellerabteilâ (Nagy) bedingt sind, zum Aus-
gangspunkt fĂŒr (familiengeschichtliche) Spurensuchen und Spekulationen. Ăsthe-
tische Strategien, die UnschÀrfen und Unentscheidbarkeiten entstehen lassen,
stellen das die Gegenwart ĂŒberschattende âNicht-Sehenâ (Heidemann) in den Fokus
Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Titel
- Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Herausgeber
- Eva Binder
- Christof Diem
- Miriam Finkelstein
- Sieglinde Klettenhammer
- Birgit Mertz-Baumgartner
- Marijana MiloĆĄeviÄ
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069346-1
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 350
- Schlagwörter
- Opfernarrative, zeitgenössische Literatur, transnationale Erinnerung, TransnationalitÀt
- Kategorie
- LehrbĂŒcher