Seite - 11 - in Opfernarrative in transnationalen Kontexten
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Einleitungâ â
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Nationalliteratur liegt (wie im Fall des Textkorpus von Gramshammer-Hohl) â
entwerfen Strategien, um derartige âLeidenswettkĂ€mpfeâ (Milan Kundera) kri-
tisch zu reflektieren oder zu beenden und so Wege aus Opferfallen aufzuzeigen.
Als ein möglicher Ausweg zeichnet sich â anders als beim erwĂ€hnten Fukuyama
â die Schaffung von Ambivalenzen ab, die unter anderem mit Hilfe von Ironie,
Groteske oder âGalgenhumorâ gelingt (Ananka und Kirschbaum, Mazi und Zink).
Gerade diese Mehrdeutigkeit schaffenden literarischen Verfahren erscheinen in
der Lage, den fĂŒr Opferkonkurrenzen (mit-)konstitutiven âZwang zur Eindeu-
tigkeitâ (Schulze Wessel 2012, 4) sowie das Viktimisierungsdiskursen inhĂ€rente
Pathos zu untergraben. Dies gelingt beispielsweise durch die âDemontageâ des fĂŒr
die traditionelle Opferrolle so essentiellen Mitleids (Mazi und Zink). Zwar drÀngt
Empathie das Opfer einerseits in eine schwache Position, es verleitet dieses aber
auch dazu, diese zur UntĂ€tigkeit einladende âstarke SchwĂ€cheâ lustvoll auszu-
kosten. GerĂ€t das Opfer als derart kĂŒhl kalkulierender âStrategeâ in den Blick, ist
es nicht lĂ€nger ĂŒber alle Zweifel erhaben; vielmehr verliert es sein wichtigstes
Charakteristikum â nĂ€mlich seine Unschuld. Freilich bleibt zu bedenken â und
hier enthĂŒllt sich eine zweite Facette des fĂŒr diesen Teil zentralen Ambivalenz-
begriffs â dass das subversive âAnschreibenâ gegen hegemoniale Opfernarrative
nicht immer dazu fĂŒhrt, aus dem âTeufelskreis der Martyrologieâ (Ananka und
Kirschbaum) dauerhaft auszubrechen, besteht doch gerade im Kontext repres-
siver politischer Regime wie Belarus die Gefahr, durch das Aufbegehren in eine
Opferrolle gedrÀngt zu werden und in der Folge Selbstviktimisierung zu kultivie-
ren. Abseits von Ironie und Groteske zeichnet sich vor allem das bereits thema-
tisierte Konzept des âdialogischen Erinnernsâ (Assmann 2013a, 196) als Ausweg
aus blockierenden Opferkonkurrenzen ab.
Im Mittelpunkt des Beitrags von Dagmar Gramshammer-Hohl, âWer hat
mehr gelitten? Konfrontationen zwischen Emigrierten und im Land Geblie-
benenâ, steht das Problem der Opferkonkurrenz zwischen Emigrant*innen und
im Land Gebliebenen. In vergleichender Perspektive werden die Romane dreier
Autoren analysiert: des aus der kommunistischen Tschechoslowakei nach Frank-
reich emigrierten und auf Französisch schreibenden Milan Kundera sowie der
Bosnier Aleksandar Hemon und Ismet PrciÄ, die beide seit den frĂŒhen 1990er
Jahren in den USA leben und auf Englisch schreiben. Im Zentrum steht die Frage
nach der Möglichkeit der Wiederherstellung emigrationsbedingt zerbrochener
IdentitÀten durch die Anerkennung des eigenen Leids durch die anderen (d.h.
die im Land Gebliebenen). Das Bestreben nach dieser Anerkennung sucht die
Autorin mit Paul RicĆurs Begriff der reconnaissance zu erfassen.
Der kognitiv-kulturwissenschaftlich orientierte Beitrag von Franziska Mazi
und Andrea Zink mit dem Titel âKritik der Empathie â oder: Das Opfer beiĂt
zurĂŒck: Vladimir ArsenijeviÄs Predatorâ bietet am Beispiel des post modernen
Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Titel
- Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Herausgeber
- Eva Binder
- Christof Diem
- Miriam Finkelstein
- Sieglinde Klettenhammer
- Birgit Mertz-Baumgartner
- Marijana MiloĆĄeviÄ
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069346-1
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 350
- Schlagwörter
- Opfernarrative, zeitgenössische Literatur, transnationale Erinnerung, TransnationalitÀt
- Kategorie
- LehrbĂŒcher