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Opfer ausstellen
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in dem einen Fall den oben beschriebenen Beweis der EU-Beitrittsreife antreten,
im anderen Fall die sowjetischen Verbrechen als die im Vergleich zur NS-Besat-
zung schlimmeren darstellen. Besonders augenscheinlich wird die ‚Anrufung
Europas‘ im 1969 eröffneten staatlichen Museum des Slowakischen Nationalauf-
stands in Banská Bystrica bzw. genauer in dessen ständiger Ausstellung aus 2004,
dem Jahr des EU-Beitritts der Slowakei, sowie im 1968 eröffneten staatlichen
Gedenkmuseum Jasenovac, dessen ständige Ausstellung ebenfalls in die Phase
der kroatischen EU-Beitrittsbemühungen fiel. Die Eindämmung der NS-Erinne-
rung betreiben hingegen am deutlichsten das 1992 auf Initiative des Vereins der
ehemaligen Häftlinge und Deportierten vom litauischen Ministerium für Kultur
und Bildung gegründete Museum der Genozidopfer in Vilnius und das 2002 im
Zuge des Wahlkampfs von Viktor Orbán eröffnete staatliche Museum Haus des
Terrors in Budapest.2 Auf Gedächtnis- und Museumstheorie aufbauend werden
die Opfernarrative und visuellen Repräsentationen der Opfer in den ständigen
Ausstellungen, älteren und aktuellen Museumskatalogen sowie den Museums-
websites miteinander verglichen.
Im ersten Teil dieses Beitrags werde ich zeigen, wie beide Arten von Museen
die Ästhetik des 1993 im United States Holocaust Memorial Museum in Washing-
ton eingerichteten Tower of Faces – wenn auch auf unterschiedliche Weise –
übernehmen. In einem nächsten Schritt arbeite ich die Unterschiede zwischen
der Darstellung ‚unserer‘ und ‚ihrer‘ Opfer heraus, um schließlich der Frage nach-
zugehen, inwieweit der Fokus auf die Opfer die Aufarbeitung der Täterschaft und
Mitverantwortung des eigenen Kollektivs zu kurz kommen lässt.
1 Zweierlei Rückgriffe auf das United States
Holocaust Memorial Museum als Vorbild
Nach der Befreiung von Auschwitz wurden 2.400 Privatfotografien der Opfer
gefunden und jenen Überlebenden übergeben, die beschlossen hatten zu
bleiben, um im Stammlager eine Ausstellung vorzubereiten. Heute mutet es
unglaublich an, dass es Jahrzehnte dauern sollte, bis jemand Interesse an diesen
2 Alle vier Museen richten sich auch an ein internationales Publikum, stellen also auch englisch-
sprachige Informationen zur Verfügung, wobei einzig im Haus des Terrors die Ausstellungstexte
ausschließlich auf Ungarisch sind und man in jedem Raum eine englische Zusammenfassung als
Schwarz-Weiß-Kopie mitnehmen bzw. neuerdings auch einen vielsprachigen Multimedia-Guide
in Form eines Tablets ausleihen kann.
Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Titel
- Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Herausgeber
- Eva Binder
- Christof Diem
- Miriam Finkelstein
- Sieglinde Klettenhammer
- Birgit Mertz-Baumgartner
- Marijana Milošević
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069346-1
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 350
- Schlagwörter
- Opfernarrative, zeitgenössische Literatur, transnationale Erinnerung, Transnationalität
- Kategorie
- Lehrbücher