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58 Ljiljana Radonić
in Anlehnung an Holocaust-Gedenkmuseen wie das USHMM in einem dunklen
Raum angesiedelten Ausstellung (Radonić 2018, 52).
Universalisierung des Holocaust bedeutet auch, dass andere als jüdische
Opfer des ‚Dritten Reiches‘ und seiner Hilfsvölker zunehmend aus der Margina-
lisierung herausgeholt werden. Zu den ‚internationalen Standards‘ der Museali-
sierung gehört zunehmend auch das Thematisieren der Roma4-Opfer vor allem in
jenen Museen, die ihr Europäischsein unter Beweis stellen wollen. Doch bedeutet
die bloße Inklusion der Roma-Opfer keinesfalls, dass die jeweilige Ausstellung
vor der Reproduktion von Stereotypen gefeit ist. So stehen im Jasenovac-Ausstel-
lungsguide die privaten Porträtfotografien der (vor allem serbischen, jüdischen
und kroatischen) Opfer und deren Kurzbiografien im Vordergrund, während die
Roma auf visueller Ebene bloß durch vier von Täter*innen aufgenommenen Foto-
grafien präsent sind, die Stereotype von zahnlosen und auf dem Erdboden sit-
zenden Roma und Romnija reproduzieren. Während die über 200 Kurzbiografien
der jüdischen, serbischen und kroatischen Opfer zusammen mit ihren Empathie
weckenden Privatfotos immer wieder die Hoffnung schüren, am Ende der Kurz-
biografie werde stehen, dass dieses eine Opfer überlebt habe, fehlt dieses Element
bei den Roma-Opfern. Könnte man auch einwenden, dass entsprechende Privat-
fotos aus der Zwischenkriegszeit nicht verfügbar seien, so stammen manche der
im Guide enthaltenen Fotografien auch aus der Nachkriegszeit – und hier lässt
sich die Behauptung nicht aufrechterhalten, es gebe keine Privatfotos von Roma
und Romnija, die dem Täterblick entgegengesetzt werden könnten.
In dem entsprechenden Kapitel über die Verfolgung und Vernichtung der
Roma heißt es in dem Ausstellungsguide Stereotype reproduzierend, Romnija
würden heute noch gern bunte Kleider tragen und weil sie ein Volk der Freiheit
und des Reisens seien, sei es für sie schlimmer als für alle anderen Volksgruppen
gewesen, im Lager eingesperrt zu sein (Lengel-Krizman 2006, 170). Während die
Kapitel über die anderen Opfergruppen von Wissen schaftler*innen, die selbst
Serb*innen, Jüd*innen oder Kroat*innen sind, verfasst wurden, schrieb eine
Nicht-Romni über die Roma-Opfer. Die anderen Kapitel enthalten zahlreiche
Zeugnisse der Überlebenden, Tagebucheinträge und Ähnliches, doch in Bezug
auf die Roma heißt es: „Die Berichte der wenigen Überlebenden sind so dras-
tisch, dass wir sie als wahr und authentisch akzeptieren können oder auch nicht“
(Lengel-Krizman 2006, 170). Die Autorin entscheidet sich in der Folge dagegen
und Roma-Stimmen fehlen somit gänzlich in dem Kapitel.
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Je weiter östlich und südlich in Europa, umso weniger waren die antiziganistisch Verfolgten
Sinti und umso mehr Roma, sodass in den Museen durchgängig von Roma die Rede ist, was im
Englischen auch als Überbegriff verwendet wird.
Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Titel
- Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Herausgeber
- Eva Binder
- Christof Diem
- Miriam Finkelstein
- Sieglinde Klettenhammer
- Birgit Mertz-Baumgartner
- Marijana Milošević
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069346-1
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 350
- Schlagwörter
- Opfernarrative, zeitgenössische Literatur, transnationale Erinnerung, Transnationalität
- Kategorie
- Lehrbücher