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Opfer ausstellen
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tance of 500 meters).“ Im Guidebook ist die NS-Besatzung bloß in der Phrase „after
the three-year-long occupation by Nazi Germany“ (Rudienė und Juozevičiūtė 2006,
32) sowie in diesem Satz vertreten: „The German army bombarded Soviet military
objects on Lithuanian territory from one side, and the Red Army, retreating but still
clinging on to the power under the state of war, pillaged the country and oppressed
people from the other“ (Rudienė und Juozevičiūtė 2006, 30). Sowjetische Verbre-
chen werden darin als „physical and spiritual genocide against the Lithuanian
people“ (Rudienė und Juozevičiūtė 2006, 3) begriffen.
Auch dieses Museum arbeitet mit den Gesichtern der Opfer. Im Eingangsbe-
reich und auf dem Cover des Museumsführers sehen wir ein Mosaik aus erken-
nungsdienstlichen Aufnahmen des KGB, die wie im Haus des Terrors – als ästhe-
tisches Element der Verschmelzung der unzähligen uniformen Bilder zu einem
Ganzen eingesetzt – auf ein kollektives Opfernarrativ verweisen: politische Häft-
linge einmal im Profil und einmal von vorne, vor allem Männer, aber auch einige
wenige Frauen. In der Ausstellung werden Opfer sowjetischer Verfolgung auch
individualisiert dargestellt, mit Privatfotos, Kurzbiografien und Gegenständen,
die Empathie für ihr Leid wecken und so diese Ausstellungsteile – trotz des tra-
ditionellen Bild- und Objektarrangements auf Tafeln und in Schaukästen – ein-
drucksvoll zum Sprechen bringen. So finden sich im Raum über die erste sow-
jetische Besatzung Fotos der mit Kurzbiografien vorgestellten Opfer, Verhafteter
und Deportierter, eines Geistlichen, eines Generals, einer weiblichen Verwal-
tungskraft, eines Lehrers, eines Geschäftsmanns, eines Bauern, eines Ingenieurs
etc., jeweils sowohl mit Privatfotografie als auch mit erkennungsdienstlichen
Aufnahmen von vorne und im Profil. Private Aufnahmen werden hier also jenen
der Repressionsorgane gegenübergestellt. Im zweiten Raum über den Partisanen-
kampf 1944–1953 heißt es über die Zeugnisse der Partisanen: „personal belon-
gings and photographs which immortalise the faces of the freedom fighters“.
Im Raum über sowjetische Gefängnisse und Arbeitslager 1944–1956 im ersten
Stock dominieren dann individualisierende Elemente, Privatfotos, Häftlingsge-
genstände und ihre Kleidung. Gezeigte Objekte von Zwangsumgesiedelten sind
etwa ein bestickter Stofffetzen mit einem hoffnungsvollen Spruch einer Depor-
tierten und späteren Gefangenen und ein Koffer, den eine Zwangsexilierte und
ihre Tochter bei ihrer Rückkehr nach Litauen 1961 mitbrachten. In diesen Teilen
der Ausstellung gelingt es eindrucksvoll, den sowjetischen Terror einzufangen
und Empathie für seine Opfer zu wecken.
Als späte Reaktion auf die Universalisierung des Holocaust wurde im Keller
des riesigen Gebäudes 2011 jene Gefängniszelle der NS-Besatzung und dem Holo-
caust gewidmet, in der sichtbare Ritz-Spuren der Häftlinge an den Wänden nun
hervorgehoben und konserviert wurden. Der die ganze Rückwand einnehmende
Davidstern soll den Holocaust-Bezug sofort augenscheinlich werden lassen.
Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Titel
- Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Herausgeber
- Eva Binder
- Christof Diem
- Miriam Finkelstein
- Sieglinde Klettenhammer
- Birgit Mertz-Baumgartner
- Marijana Milošević
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069346-1
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 350
- Schlagwörter
- Opfernarrative, zeitgenössische Literatur, transnationale Erinnerung, Transnationalität
- Kategorie
- Lehrbücher