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Ljiljana Radonić
Geschichtsnarrativ in jenen Teilen der slowakischen Ausstellung gegenüber, die
auf die sogenannte „Slowakische Republik“ bezogen sind (Radonić 2017, 4). Inte-
ressanterweise wird einerseits die Mitschuld am Holocaust klar benannt. Von
März bis Oktober 1942 habe die slowakische Regierung „by its own administra-
tive means“ fast 58.000 Jüd*innen aus der Slowakei in verschiedene NS-Vernich-
tungslager deportiert: „The deportations were brutally organized particularly by
the members of Hlinka’s Guard and the FS [Flying Squads].“ Andererseits trägt
das Ausstellungspanel über das Tiso-Regime im Zweiten Weltkrieg nicht etwa
den Namen ‚Der slowakische NS-Satellitenstaat‘, sondern die neutrale Bezeich-
nung „Political Life in Slovakia 1938–1944“. Die sogenannte „Slowakische Repu-
blik“ wird nicht in Anführungszeichen gesetzt, sondern es wird angedeutet, dass
ein anfangs unabhängiger Staat mit einem funktionierenden Parlament existiert
hätte, der sich erst nach und nach zu einem autoritären Regime entwickelt habe.
Darin findet sich nur ein einziger Satz über Repressionen, „Errungenschaften“
hingegen werden positiv hervorgehoben, ohne in Zusammenhang mit ersteren
gestellt zu werden: „In spite of the authoritarian regime the Slovak Republic
achieved many positive results in the areas of economy, science, schools and
culture, owing to the war boom.“ Die genauere Auseinandersetzung mit den
einheimischen Täter*innen bleibt der Ausstellung in der Filiale des Museums
in Nemecká vorbehalten. Barbara Lašticová und Andrej Findor haben also
sicherlich recht, wenn sie schreiben, dass das Museum in einem europäischen
historischen Kontext präsentiert wird, doch es bleibt fraglich, ob es wirklich
als „cornerstone of the European cultural integration“ (2008, 237) betrachtet
werden kann, wie sie schreiben. Zutreffender scheint da Tomas Sniegons Cha-
rakterisierung des Narrativs als „national-European“ (2017, 166). Die Rolle der
Bevölkerung bei der Ausgrenzung und Deportation, die Verbreitung von Anti-
semitismus, geschweige denn von Antiziganismus in der slowakischen Gesell-
schaft werden ausgespart.
In Jasenovac führt der starke Fokus auf individuelle Opferschicksale dazu,
dass die Täter*innen kaum eine Rolle spielen. Nur auf zwei der in der ständi-
gen Ausstellung gezeigten Fotos sind Täter abgebildet. Eine der ersten Ausstel-
lungstafeln zeigt den Ustaša-Führer Ante Pavelić bei seinem Besuch bei Hitler im
Juni 1941, bei dem Hitler ihm seine „volle Unterstützung für die Politik des Geno-
zids an der serbischen Bevölkerung“6 gegeben habe, so die Bildunterschrift. So
wichtig es ist, die Shoa und den Genozid an den Roma und Romnija in Kroatien
6
In der englischsprachigen Übersetzung ist auf der Ausstellungstafel von „Serbian population“
die Rede, was jedoch die Bewohner*innen Serbiens, nicht Serb*innen in Kroatien bezeichnen
würde, und daher korrekt ‚Serb population‘ heißen müsste.
Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Titel
- Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Herausgeber
- Eva Binder
- Christof Diem
- Miriam Finkelstein
- Sieglinde Klettenhammer
- Birgit Mertz-Baumgartner
- Marijana Milošević
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069346-1
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 350
- Schlagwörter
- Opfernarrative, zeitgenössische Literatur, transnationale Erinnerung, Transnationalität
- Kategorie
- Lehrbücher