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Hajnalka Nagy
Die Geschichte des/der Anderen:
Zum Umgang mit dem österreichischen
Täter-Opfer-Gedächtnis bei Maja Haderlap
und Hamid Sadr
Die zunehmende Transkulturalisierung und Pluralisierung von Erinnerungskul-
turen provozieren sogenannte ‚clashes of memory‘ und Opferkonkurrenzen, und
dies nicht nur auf transnationaler Ebene, sondern auch auf der Ebene des zwar
national gedachten, aber immer heterogener werdenden kollektiven Gedächt-
nisses. In Österreich gibt es eine besondere Form des Umgangs mit Opfern, die
im Gründungsmythos der Zweiten Republik, der das Land zum ersten Opfer des
nationalsozialistischen Deutschlands erklärte, ihren Anfang genommen hat.
Dieser Mythos ebnete nicht nur der Verklärung der jüngsten Vergangenheit den
Weg, sondern auch dem Widerstreit konkurrierender partikularer Gedächtnisse,
wobei Täter-Opfer-Positionen auf seltsame Weise miteinander vermischt bzw. ver-
tauscht wurden (Botz 1997).
Am Beispiel dieses Umgangs mit den Opfern politischer und rassistischer
Verfolgung lassen sich auch die wichtigsten Kritikpunkte der aktuellen Debatte
um den Opferbegriff benennen: Opfernarrative können einerseits für kollek-
tive Sinnstiftungen politisch missbraucht werden, indem die Binarisierung von
Täter*innen und Opfern die Exklusion von Nicht-Zugehörigem erlaubt. Eine
solche „Ethnisierung“ des Gedächtnisses und die nationale Fixierung der kollek-
tiven Identität sind mit Assmann (2013, 147) in heterogenen und pluralen Gesell-
schaften besonders problematisch, zumal sie sowohl ethnisierten Minderheiten
als auch Zugewanderten die Partizipation an der Aushandlung von identitätssi-
chernden Erinnerungsnarrativen untersagen. Andererseits können durch Selbst-
viktimisierung Schuld und (Mit-)Täterschaft externalisiert werden, was wiede-
rum – wie im Fall Österreichs – zur Verharmlosung von verübtem Verbrechen
und zu Opferkonkurrenzen führt (Assmann 2013, 144–148).
Auch wenn die österreichische Literatur der 1950er und 1960er Jahre diese
Opfererzählung teilweise bediente, haben kritische Texte, vor allem ab den
1980er Jahren maßgeblich zur Entlarvung der österreichischen ‚Geschichtslüge‘
beigetragen. Die inzwischen kanonisierten Werke und essayistischen Stellung-
nahmen – etwa Elfriede Jelineks Burgtheater (1985), Josef Haslingers Politik der
Gefühle (1987) oder Thomas Bernhards Heldenplatz (1988) – spielen heute noch
eine besondere Rolle in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem his-
torischen Erbe der NS-Vergangenheit. Als Teil der Erinnerungskultur haben diese
Open Access. © 2020 Hajnalka Nagy, publiziert von De Gruyter.
Dieses
Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 4.0 Lizenz.
https://doi.org/10.1515/9783110693461-004
Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Titel
- Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Herausgeber
- Eva Binder
- Christof Diem
- Miriam Finkelstein
- Sieglinde Klettenhammer
- Birgit Mertz-Baumgartner
- Marijana Milošević
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069346-1
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 350
- Schlagwörter
- Opfernarrative, zeitgenössische Literatur, transnationale Erinnerung, Transnationalität
- Kategorie
- Lehrbücher