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Die Geschichte des/der Anderenâ â
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eigener Stimme sprechen können, ohne dass sie in den passiven Objektstatus
im Sinne eines stellvertretenden âSprechens fĂŒr und ĂŒber jemandenâ gedrĂ€ngt
werden.
Im Folgenden gehe ich anhand der beiden Texte der Frage nach, welche
Rolle sie bei der narrativen Aushandlung des österreichischen TÀter-Opfer-
GedÀchtnisses spielen und welche literarischen Verfahren es ihnen erlauben,
ihre gedÀchtnisbildende und -reflexive Funktion zu entfalten. Bevor ich auf die
beiden Romane nÀher eingehe, soll jedoch jener komplexe erinnerungs
kulturelle
Kontext beleuchtet werden, in dem die Werke verortet sind.
1 WidersprĂŒchlichkeiten österreichischer
Erinnerungskulturen
Die DisparitÀt heutiger österreichischer Erinnerungskulturen lÀsst sich nicht nur
von den spezifischen, vom Zweiten Weltkrieg herrĂŒhrenden historisch-politi-
schen Bedingungen herleiten, sondern auch von den gesamt
gesell schaftlichen
Entwicklungen eines immer schon mehrkulturellen und heterogenen Staates.
Im österreichischen Kontext ist in diesem Sinne die Frage nach der Transkultu-
ralitÀt der Erinnerung im vielfachen Sinn von Bedeutung. Bereits Móritz Csåky
(2011, 25â26) hat darauf hingewiesen, dass österreichische (wie auch zentraleu-
ropÀische) Erinnerungskulturen immer schon nur in ihrer immanenten Verfloch-
tenheit wahrgenommen werden konnten. âKreolisierungâ und PluralitĂ€t waren
nicht nur fĂŒr den Vielvölkerstaat der Habsburger Monarchie charakteristisch,
sondern sie prÀgen weiterhin heutige Erinnerungskulturen der ehemaligen Kron-
lÀnder auf der nationalen wie transnationalen Ebene (vgl. dazu Nagy 2019). Auf
diese historischen Gegebenheiten zurĂŒckzufĂŒhren ist auch die zweite Dimen-
sion transkultureller Erinnerung in Ăsterreich, nĂ€mlich das Nebeneinander des
GedÀchtnisses einer sich als Leitkultur verstehenden Mehrheitsgesellschaft und
des âGegengedĂ€chtnissesâ ethnisierter Minderheiten. In diese Erinnerungsvielfalt
schreiben sich letztlich die partikularen Erinnerungen von Zugewanderten ein,
die ihrerseits ebenfalls neue Narrative mit sich bringen und bestehende nationale
ErzÀhlmuster in Frage stellen. Diese Erinnerungen bilden die dritte Dimension
transkultureller Erinnerung.
In den österreichischen Erinnerungskulturen wirken also verschiedene Erin-
nerungsgemeinschaften aufeinander und kÀmpfen stets um die Anerkennung
ihrer jeweiligen identitÀtsstiftenden ErzÀhlungen. Ich gehe hier insbesondere auf
drei Konfliktlinien ein, die auch als Ergebnis von diversen transkulturellen Trans-
formations- und Delegitimierungsprozessen zu lesen sind.
Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Titel
- Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Herausgeber
- Eva Binder
- Christof Diem
- Miriam Finkelstein
- Sieglinde Klettenhammer
- Birgit Mertz-Baumgartner
- Marijana MiloĆĄeviÄ
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069346-1
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 350
- Schlagwörter
- Opfernarrative, zeitgenössische Literatur, transnationale Erinnerung, TransnationalitÀt
- Kategorie
- LehrbĂŒcher