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Anerkennung als Opfer und Überwindung von Viktimisierungen:
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daraus ein „Akt der Wiederherstellung der Identität und Integrität der Opfer“
(Krämer 2011, 136) erwachsen.
Die folgenden Überlegungen basieren auf der Annahme, dass sich das doku-
mentarische Theater besonders für die Aushandlung verschiedener Opferpers-
pektiven eignet. Dies gilt auch für die Positionen der Hinterbliebenen wie Şimşek
und Kubaşık sowie anderer Betroffener der vom NSU verübten Anschläge, die
seit der Spielzeit 2012/2013 in Deutschland in mehreren (teils dokumentarischen)
Theaterstücken thematisiert worden sind. Von insgesamt 25 uraufgeführten
Theaterstücken in den Spielzeiten 2012/2013 bis einschließlich 2016/2017, die im
engeren Sinne auf den NSU Bezug nehmen,1 fokussieren sechs gänzlich auf Per-
spektiven von Angehörigen der Opfer und Betroffenen, in fünf weiteren werden
solche Perspektiven in Kombination mit anderen Perspektiven (etwa von Täterfi-
guren) dargestellt.2 Offensichtlich wird so auf eine Leerstelle in der öffentlichen
Wahrnehmung und der Aufarbeitung des NSU reagiert, in der die Hinterbliebe-
nen im Vergleich zu den Täter*innen marginalisiert sind.
Im Folgenden sollen zunächst die beiden Theaterstücke Urteile (Residenzthe-
ater München, 2014) und Die Lücke (Schauspiel Köln, 2014) in der Tradition des
dokumentarischen Theaters kontextualisiert werden. Es folgt dann eine jeweils
auf den Theatertext und die Inszenierung der Uraufführung abzielende Analyse,
bei der danach gefragt wird, wie sprachliche und theatrale Mittel die Opferreprä-
sentation in beiden Theaterstücken steuern. Dabei wird auch darauf eingegangen,
welche Effekte eine Darstellung durch professionelle Schauspieler*innen bzw. die
Inter aktion von Schauspieler*innen und nicht-professionellen Darsteller*innen
haben kann.
2 Urteile und Die Lücke: Spielarten des
zeitgenössischen dokumentarischen Theaters
In Urteile, einem Theatertext von Christine Umpfenbach und Azar Mortazavi, der
am 10. April 2014 am Residenztheater München in der Regie der Autorin Ump-
fenbach uraufgeführt wurde, standen erstmals in der theatralen Auseinanderset-
1 Ein thematischer Bezug zum NSU wird angenommen, wenn dieser im Titel bzw. Untertitel des
Theatertexts oder in Epitexten zur Uraufführung (z.B. in Ankündigungen des Theaters oder im
Programmheft zur Inszenierung) deutlich gemacht wird.
2 Weitere thematische Schwerpunkte liegen in der Darstellung von Täterdiskursen und Perspek-
tiven auf Institutionen der Aufarbeitung, etwa den NSU-Gerichtsprozess.
Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Titel
- Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Herausgeber
- Eva Binder
- Christof Diem
- Miriam Finkelstein
- Sieglinde Klettenhammer
- Birgit Mertz-Baumgartner
- Marijana Milošević
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069346-1
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 350
- Schlagwörter
- Opfernarrative, zeitgenössische Literatur, transnationale Erinnerung, Transnationalität
- Kategorie
- Lehrbücher