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Opfernarrative in transnationalen Kontexten
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98    Anna Brod zung mit dem NSU Perspektiven von Angehörigen der Mordopfer im Mittelpunkt. Am Schauspiel Köln wurde nur zwei Monate später Die Lücke: Ein Stück Keup- straße in der Regie von Nuran David Calis uraufgeführt, in dem auf den im Juni 2004 vom NSU verübten Nagel bombenanschlag auf die gleichnamige Geschäfts- straße in Köln-Mülheim Bezug genommen wird, in der hauptsächlich türkeistäm- mige Gewerbe treibende ansässig sind und bei dem 23 Personen teils schwer ver- letzt wurden. Sowohl Urteile als auch Die Lücke verweisen mit ihrem Fokus auf die Perspek- tiven der Hinterbliebenen und Betroffenen auf einen bis zu diesem Zeitpunkt mar- ginalisierten Aspekt der außertheatralen Wirklichkeit und machen dies u.a. durch einen expliziten Ortsbezug deutlich: Im Mittelpunkt des Texts und der Inszenie- rung von Urteile am Residenztheater München stehen die beiden Münchner Opfer des NSU, Habil Kılıç und Theodoros Boulgarides. Dieser Verweis wird durch das Einspielen von O-Tönen, die u.a. an den beiden Tatorten aufgenommen wurden, unterstützt. Bei Die Lücke ist der geografische Bezug noch enger, da die Spielstätte Depot des Schauspiel Köln, wo das Stück uraufgeführt und über vier Spielzeiten hinweg gezeigt wurde, in unmittelbarer Nachbarschaft zur Keupstraße und somit zum Tatort des Nagelbombenanschlags liegt, der darin thematisiert wird. Beide Texte und ihre Inszenierungen, deren Zusammenstellung und szeni- sche Umsetzung bei Calis bzw. Umpfenbach jeweils in einer Hand lagen, reihen sich damit in den gegenwärtigen „Trend zum Dokumentarischen“ (Englhart 2013, 109) ein: Als Reaktion auf eine ‚Krise der Repräsentation‘ nach 1989 entwickel- ten sich um die Jahrtausendwende herum „Theater formen jenseits der Dramatik und jenseits des Schauspiels“, die auf das dokumentarische Theater der 1960er Jahre Bezug nehmen, dieses Konzept jedoch erweitern und neu füllen (Schle- witt und Brenk 2014, 8). Den Anspruch an Objektivität und Faktizität, der das frühe dokumentarische Theater prägt, hebt Peter Weiss 1971 in seinen Notizen zum dokumentarischen Theater hervor, wenn er postuliert, dieses enthalte sich „jeder Erfindung, es übernimmt authentisches Material“, „gibt dies […] von der Bühne aus wieder“ (1971, 91–92) und lege so „Fakten zur Begutachtung vor“ (1971, 97). Gleichzeitig betont Weiss die Parteinahme und Beglaubigung (1971, 99), die durch Auswahl- und Anordnungsprozesse der, meist schriftlichen, Dokumente erreicht würden, wenn er darauf hinweist, dass das Material „im Inhalt unverän- dert, [aber] in der Form bearbeitet“ (1971, 91–92) sei. Wenn Performer*innen im zeitgenössischen Dokumentartheater wie etwa bei den Performance-Kollektiven Rimini Protokoll oder She She Pop eigene Erfahrun- gen mit dem Theaterpublikum teilen, sind es Andreas Tobler zufolge „nicht mehr Dokumente, sondern das eigene Erleben und die eigenen Überzeugungen“ (2014, 152), die das auf der Bühne Erzählte beglaubigen. Durch den Theaterkontext ent- steht so ein komplexer Wirklichkeitsbezug:
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Opfernarrative in transnationalen Kontexten
Titel
Opfernarrative in transnationalen Kontexten
Herausgeber
Eva Binder
Christof Diem
Miriam Finkelstein
Sieglinde Klettenhammer
Birgit Mertz-Baumgartner
Marijana Milošević
Verlag
De Gruyter Open Ltd
Datum
2020
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-11-069346-1
Abmessungen
15.5 x 23.0 cm
Seiten
350
Schlagwörter
Opfernarrative, zeitgenössische Literatur, transnationale Erinnerung, Transnationalität
Kategorie
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