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Opfernarrative in transnationalen Kontexten
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Anerkennung als Opfer und Überwindung von Viktimisierungen:     107 Wunden in einem Körper, die zwar heilen, aber nie wirklich weggehen sollen. So eine Wand ist schnell repariert, sein Laden, sein Körper, die Wände seines Lebens, sind seine Haut, die nicht heilen darf, weil es dann eine Lüge wäre, weil er nicht will, dass es vergessen wird. Und jemand anderer Zugang zu dem hat, was er erlebt hat. Er will das Gedächtnis über das Unheil sein, das über alle hereingebrochen ist und er – der Verwalter der Schande, der sich nicht verdrängen lassen will – sich nicht heilen lassen will. Weil alles andere falsch sei  …  . (Calis 2014a, 6 [Hervorhebung von Formulierungen der imaginierten Willensäußerung des Friseurs A.  B.]) Thomas berichtet hier, dass ihn die Begegnung mit dem Körper eines Betroffenen affiziert und Auslöser für einen Zugang zu dessen Erleben ist – in dem Ausmaß, dass er der Meinung ist, anstelle des Zeugen sprechen zu können. Wenn Thomas diese theoretische Position auf der Bühne entwickelt, ohne dass der Friseur selbst anwesend ist, und die Erfahrung des Anschlags scheinbar aus dessen Perspektive wiedergibt, ohne diesen Prozess zu reflektieren, eignet er sie sich in Form einer Stellvertretung teilweise an (Schneider 2007, 167). Annika ergänzt seine Ausführungen: Die Begegnung mit Betroffenen, wie sie im Entstehungsprozess von Die Lücke vorgesehen ist, versteht sie nicht wie Thomas als Möglichkeit, über deren Körper einen Zugang zur Erfahrung der Gewalttat zu bekommen (Nikitin 2014, 14) und ihnen somit als Opfer zu begeg- nen, sondern vielmehr als Gelegenheit, diese als mehrdimensionale Personen über ihren Opferstatus hinaus kennenzulernen. Am Beispiel Ayfers führt sie dies vor:   ANNIKA […] Und jetzt entsteht aber was, dass wir Menschen gegenübersitzen, die eine eigene Biografie haben und die für einen Teil von dieser Keupstraße stehen. Da ist zum Beispiel Ayfer. Wo warst du zur Zeit des Anschlags?   AYFER Ich war im Reisebüro.   ANNIKA Im Reisebüro. Und du bist von der Wucht der Bombe an die Wand gedrückt worden. Da könnte die Geschichte zu Ende sein. Dann ist da aber dieser Mensch, der noch viel kom- plexer wird, dadurch, dass sie eben ein Kopftuch trägt und aus einer traditionellen Familie kommt, und ich bin plötzlich befremdet, weil ich auch denke: Was verbirgt sich denn dahinter? (Calis 2014a, 6) Die Frage nach Ayfers körperlicher Erlebnisdimension des Anschlags wird von Annika knapp selbst beantwortet („Und du bist von der Wucht der Bombe an die Wand gedrückt worden.“). Als interessanter empfindet sie Fragen, die sich aus Ayfers Herkunft aus einer traditionellen Familie und dem Tragen des Kopftuchs ergeben. An dieser Stelle nimmt Annika im Vergleich mit Thomas eine radikalere
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Opfernarrative in transnationalen Kontexten
Titel
Opfernarrative in transnationalen Kontexten
Herausgeber
Eva Binder
Christof Diem
Miriam Finkelstein
Sieglinde Klettenhammer
Birgit Mertz-Baumgartner
Marijana Milošević
Verlag
De Gruyter Open Ltd
Datum
2020
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-11-069346-1
Abmessungen
15.5 x 23.0 cm
Seiten
350
Schlagwörter
Opfernarrative, zeitgenössische Literatur, transnationale Erinnerung, Transnationalität
Kategorie
Lehrbücher
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